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25.02.2016

Freiwilligenprojekt in Ghana - ein Bericht!

Travel is part of education - diesen wunderbaren Spruch fand ich in einem Fischerdorf an der ghanaischen Küste. Wie wahr er ist! Mein Mann und ich hatten uns eine berufliche Auszeit genommen und unseren Traum einer kleinen Weltreise erfüllt.

Im Rahmen der Reise haben wir viele Eindrücke gesammelt und eindrucksvolle, einzigartige und spannende Persönlichkeiten kennengelernt. In Ghana haben wir einen tiefen und authentischen Einblick in die Lebensrealität der Menschen dort bekommen. Wir haben mit ihnen gelebt und gearbeitet. Ich bin sehr dankbar, dass mir mein Beruf als Physiotherapeutin diese Erfahrungen ermöglicht hat.

Ursprünglich sollten wir in einem neu errichteten Kinderkrankenhaus Freiwilligendienst verrichten. Aber wie (sooft) und gewisser maßen typisch für "Afrika" laufen die Dinge nicht wie geplant und die Uhren ticken auf diesem wunderschönen Kontinent anders. So war die Meldung, dass es jenes Krankenhaus noch nicht gab zwar eine anfängliche Enttäuschung, jedoch haben sich auch bald neue Türen für uns geöffnet. Im Kontakt mit Einheimischen und nach Ghana Ausgewanderten haben wir so das für uns richtige Projekt gefunden.

Kindern helfen – mit Würde und Respekt

Der Deutsche Verein Baobab Children Foundation ist zwischen den Dörfern Kissi und Kwahinkrom für Kinder aktiv. Die Dörfer liegen etwa 25 Kilometer westlich vom Touristenmagneten Cape Coast. Die Freiburger Lehrerin Edith de Vos hat Baobab in Ghana und Deutschland gegründet. Seit 13 Jahren lebt sie überwiegend vor Ort und organisiert zusammen mit ihren ghanaischen Kollegen die Arbeit des Vereins.

Diese nicht von der Regierung unterstützte Organisation (NGO) betreibt unter anderem eine Schule für Behinderte und Benachteiligte Kinder der Umgebung. Dabei entwickelt sich die Einrichtung mehr und mehr zu einem (Kinder-) Dorf mit Werkstätten, Schule, einer Küche mit Dining Hall, einer organischen Farm, einem Medizingarten und einem Mädchen- und Jungenheim. Derzeit leben dort 70 Schülerinnen und Schüler. Ziel ist es, junge Menschen zu fördern und ihnen eine Perspektive zu geben.

Der Zufall wollte es so

Erste Informationen über die Organisation haben wir in einem leckeren vegetarischen Restaurant in der nahliegenden Stadt Cape Coast erhalten. Dieses wird ebenfalls von Baobab betrieben. Bei einem Mittagessen kam Edith auf uns zu und fragte, ob wir nicht Lust hätten, uns einige Kinder anzusehen. Es fehle medizinisches oder physiotherapeutisches Wissen vor Ort. Ärzte und Therapeuten seien deshalb herzlich willkommen.

In der Schule leben unter anderem Kinder mit körperlichen Einschränkungen. Eine adäquate medizinische oder gar physiotherapeutische Versorgung dieser Schutzsuchenden existiert leider nicht. Wir sagten spontan zu und so wurde aus einer aufregenden, improvisierten und dabei noch gedolmetschten Befundung im Speisesaal ein spannendes Projekt.

Großer Bedarf und große Herzlichkeit

Am ersten Tag der Aufnahme standen die Kinder bereits Schlange. Es hatte sich herumgesprochen, dass hier zwei Neue unterwegs sind. Viele kamen aus reiner Neugierde, um einmal die weiße Physiotherapeutin und den Doktor zu begutachten. Letztendlich fand aber fast jeder irgendwo eine Schramme, die er gerne befundet und verarztet haben wollte.

Dabei haben sich während der Untersuchungen oft banal anmutende anamnestische Informationen als ganz andere, komplexere Krankheitsbilder herausgestellt. Ein komisches Hinken, mutmaßlich beim Fußball umgeknickt, stellte sich beispielsweise als eine handfeste Hemiplegie heraus. Gerade wegen der unheimlichen Nachfrage und der Freude, die uns entgegengebracht wurde, hatten wir viele Ideen, uns hier einzubringen.

Nach den ersten Terminen entschloss ich mich, zwei- bis dreimal pro Woche mit dem öffentlichen Verkehrsmittel (Tro-Tro) von Cape Coast in die Schule zu fahren. Ich nahm mir Zeit für drei bis vier Kinder. Die Behandlungen erforderten viel Kreativität und Ausdauer, da die Bedingungen nicht mit deutschen Verhältnissen vergleichbar sind. So hatten wir zum Beispiel nur selten das Glück, Strom für einen abkühlenden Wind durch den Deckenventilator zu bekommen.

Vieler Entbehrungen zum Trotz gab es zahlreiche Momente des Luxus. Ich konnte mir, im Gegensatz zu einem durchgetakteten 20 Minuten-Arbeitsalltag, so viel Zeit für die Kinder nehmen wie ich für nötig hielt. Am Ende belohnten die Kinder meine Arbeit mit so viel Freude und Dankbarkeit. Wunderbar war auch die Mitarbeit der Kinder. Sie schöpften große Hoffnung auf Linderung ihrer Beschwerden und führten mit einem unglaublichen Enthusiasmus täglich ihre Übungen selbstständig bis zur nächsten Behandlung durch.

Ein weiteres Highlight war, dass ich zusätzlich in die tägliche Arbeit und Tradition der Schule hinein schnuppern konnte. Ob beim samstäglichen Schmuck-Bastel Workshop oder das traditionell ghanaische Trommeln, es war ein wahrer Kulturaustausch!

Je mehr Zeit ich dort verbracht habe, desto mehr sind mir viele Kleinigkeiten aufgefallen. So konnte ich wunderbar beobachten, wie das traditionelle Tragen der schweren Gegenstände auf den Köpfen die Halswirbelmuskulatur kräftigt oder auch die alltägliche körperliche Arbeit die Fitness verbessert und ein "Fitnessstudio" wie es bei uns so üblich ist, überflüssig macht. Auch war auffallend, dass die Kinder oftmals motorisch viel besser entwickelt sind. Auch die Kinder mit einer Behinderung trauen sich durchaus mehr zu, da sie aufgrund ihrer Lebensumstände gezwungen sind, mit anderen Kindern mithalten zu müssen. Es war beeindruckend zu sehen wie, das fürsorgliche und behütende Verhalten in Deutschland, im Umgang mit den körperlich beeinträchtigten Kindern, auch deren Entwicklung deutlich reduzieren kann.

Bei all den positiven Eindrücken fehlte es aber am Elementarsten: Eine physiotherapeutische und/oder ergotherapeutische Hilfestellung sowie eine Hilfsmittelversorgung sind praktisch nicht vorhanden. In der Cape Coast Region gibt es nur eine Klinik mit einer physiotherapeutischen Station, die lediglich von jenen genutzt werden kann, welche die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung haben oder nicht zu weit entfernt wohnen.

Hilfe zur Selbsthilfe

Die Zeit vor Ort habe ich genutzt, um viele Übungen fotografisch festzuhalten. Mithilfe eines Skripts konnte ich so Behandlungstechniken an die Mitarbeiter vor Ort weitergeben. Schließlich sollten die vergangenen Wochen nicht verpuffen und auf diese Weise eine nachhaltige Verbesserung der Situation der Kinder erreicht werden. Diese Anleitung erhebt dabei natürlich nicht den Anspruch, einen Physiotherapeuten zu ersetzen. Aber ich war sehr beeindruckt von der Hingabe und dem Enthusiasmus, mit dem die Volontäre im freiwilligen sozialen Jahr durch die Anleitung einfacher Übungen und mit Hilfe der Unterlagen unseren kleinen Patienten helfen konnten. Letztendlich ist jede Hilfe auch Hoffnung.

Ein Herzenswunsch von uns wäre es, wenn sich weiterhin Freiwillige, aufgeschlossene und kreative Physiotherapeuten finden, die das Projekt weiter am Leben halten und weiterentwickeln. Aufgaben gibt es noch viele und dem Ideenreichtum sind dabei keine Grenzen gesetzt.

Am Ende unseres Volontariats sind wir rührend von allen Kindern und den Leitern der Schule sowie allen Mitarbeitern im Speisesaal verabschiedet worden. Unser Aufbruch fiel uns doppelt schwer. Beschäftigt haben uns nicht nur der Abschied von all unseren neu gewonnenen Freunden, sondern auch die Frage, wie sich alles hier weiter entwickeln würde!

Stefanie Quandt


Haben Sie Fragen an Stefanie Quandt? Dann schreiben Sie ihr eine Mail an info(at)kreativzimmer.net.