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28.07.2014

Nachlese Hauptstadtkongress 2014:

Der wichtigste berufspolitische Kongress für die Physiotherapie!

In seiner Eröffnungsrede am 25. Juni 2014 auf dem Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit 2014 schilderte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe überblicksartig seine politischen Schwerpunkte für diese Legislaturperiode. Neben einer qualitätsorientierten Patientenversorgung soll es unter anderem um den Ausbau der Telematikstrukturen in Deutschland gehen. Noch im Laufe dieses Jahres will der Minister Entwürfe für ein Präventionsgesetz und für ein e-Health-Gesetz vorlegen. Nachdem alle gesetzlich Versicherten mit einer elektronischen Gesundheitskarte ausgestattet seien, gehe es nun darum, zügig Anwendungen zum Nutzen von Patientinnen und Patienten einzuführen.

Qualität, Qualität und nochmal Qualität

Schon am ersten Kongresstag ging es im Ärzteforum beispielsweise um die Qualitäts- und Leitlinienentwicklung im Gesundheitswesen. Eindrucksvoll schilderte Eckhardt Böhle als Experte für die Leitlinienentwicklung im Deutschen Verband für Physiotherapie, wie sich die Versorgung von Patienten mit chronischen Rückenschmerzen oder nach Schlaganfall durch leitliniengerechte Verordnung der Vertragsärzte verbessern könnte. Er zeigte die Diskrepanz in der Heilmittelversorgung zwischen Leitlinienempfehlungen, Evidenz in der Physiotherapie und der tatsächlichen Versorgungslage auf.

Im Hauptstadtforum Gesundheitspolitik diskutierten Experten über die von der Politik angekündigte Qualitätsoffensive im deutschen Gesundheitssystem. Der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Prof. Dr. Ferdinand Gerlach, verwies auf das am Vortag veröffentlichte neue Gutachten des Sachverständigenrates, in dem es schwerpunktmäßig um die Gewährleistung einer bedarfsgerechten Versorgung in ländlichen Regionen und in ausgewählten Leistungsbereichen geht. Er betonte außerdem, dass es noch nie einen Koalitionsvertrag gegeben habe, in dem sektorenübergreifende Qualität und Transparenz im Fokus stehen.

"Die Politik hat erkannt, dass sich Qualität in den bestehenden Vergütungssystemen nicht ausreichend abbilden lässt. Solange die Vergütung für invasive Behandlungen – zum Beispiel an der Wirbelsäule – höher ist als unsere evidenzbasierte konservative Therapie, werden wir weiter Druck auf Politik und Kostenträger machen", betont Andrea Rädlein, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Verbandes für Physiotherapie.

Forum Physiotherapie zeigt Potenziale der Physiotherapie auf!

Unter dem Motto "Physiotherapeutische Versorgung heute und morgen" stand der 2. Kongresstag im Zeichen der Physiotherapie. Mit einer Mischung aus fachlichen und innovativen physiotherapeutischen Ansätzen präsentierten die Referenten Facetten der Physiotherapie: Heiko Dahl referierte über die Chancen und Anforderungen, die der 1. und 2. Gesundheitsmarkt an Physiotherapeuten stellt. Aus seiner Sicht spiegelt die aktuelle Lage nicht wider, dass wir Physiotherapeuten DIE Experten für Bewegung sind. Gerade auf dem 2. Gesundheitsmarkt sei das Potenzial der Physiotherapie längst noch nicht ausgeschöpft.

Prof. Dr. Jan Mehrholz lieferte einen spannenden Einblick in die Studienlage zu elektromechanisch-assistiertem Training zur Verbesserung der Gehfähigkeit nach Schlaganfall. Die Studienlage zeigt deutlich, dass besonders nicht-gehfähige Patienten von dieser Therapie profitieren.

Neue physiotherapeutische Versorgungsansätze

"Better in, Better out (BIBO)" – so nennt sich ein innovatives Programm für die physiotherapeutische Versorgung von morgen. Dr. Erwin Scherfer stellte das niederländische Projekt zur peri-operativen Versorgung von älteren und alten Risikopatienten vor. Der Deutsche Verband für Physiotherapie ist Kooperationspartner der Universität Maastricht für die Einführung von BIBO in Deutschland. Was bedeutet BIBO für die Physiotherapie in Deutschland? Aus klinischer Sicht ist es ein evidenzbasiertes Konzept zur Verbesserung der peri-operativen Versorgung von Risikopatienten zur Verringerung von Komplikationen, Krankenhausaufenthalten, Mortalität und Kosten sowie zur Verbesserung postoperativer funktioneller Ergebnisse.

Der Deutsche Verband für Physiotherapie koordinierte bereits im Februar 2014 ein erstes Treffen zum informellen Arbeitskreis in Maastricht. Die Gruppe hat sich ein erstes Arbeitsprogramm gegeben, das aktuell die Bildung vorbereitender Koalitionen mit Chirurgen, Anästhesisten und Geschäftsleitungen in Deutschland im Fokus hat. Außerdem müssen zunächst Screenings für ausgewählte Indikationen (hausspezifisch) in den teilnehmenden Einrichtungen eingeführt werden. Mithilfe dieser Screenings wird die Zielgruppe für BIBO ermittelt. Erste Ergebnisse erwarten wir im Spätsommer 2014. Eine Mitarbeit an diesem Projekt ist möglich. Interessierte können eine Mail an info(at)physio-deutschland.de schreiben.

Aus berufspolitischer Sicht ist BIBO eine Chance für die Physiotherapie in Deutschland. Denn: Die Physiotherapie kann sich als konstruktiver, proaktiver Partner in der peri-stationären Versorgung von Risikopatienten zeigen und ihren evidenzbasierten Wert abbilden. In den nächsten Monaten werden wir über die Fortschritte dieses innovativen Projektes berichten.

Podiumsdiskussion mit Politik und Krankenkasse zu Rahmenbedingungen neuer Versorgungskonzepte

Mit "herzlich willkommen in der Höhle des Löwen", begrüßte Andrea Rädlein den Vorstandsvorsitzenden der AOK NordWest, Martin Litsch, zur Podiumsdiskussion über die Rahmenbedingungen neuer Versorgungskonzepte in der Physiotherapie.
An der Seite des Kassenvertreters diskutierte der Bundestagsabgeordnete und Physiotherapeut, Dr. Roy Kühne, mit unserer stellvertretenden Vorsitzenden und dem Generalsekretär des Deutschen Verbandes für Physiotherapie, Dr. Erwin Scherfer, über aktuelle Fehl- und Unterversorgungen mit Heilmitteln und das brachliegende Potenzial der Physiotherapie. Andrea Rädlein untermauerte mit Zahlen aus der Heilmittelversorgung die Forderung des Deutschen Verbandes für Physiotherapie an die Politik, den Heilmittelkatalog zügig zu überarbeiten und damit vorhandene Evidenz in der Patientenversorgung zu verankern.

In einer durchaus kontroversen Diskussion – auch mit dem Auditorium – betonte Martin Litsch seine Gesprächsbereitschaft mit uns Physiotherapeuten. Besonders Dr. Roy Kühne ermunterte alle anwesenden Kolleginnen und Kollegen über die Veranstaltung hinaus Fragen an die Politik zu stellen und weiter mit lauter Stimme für die Physiotherapie zu sprechen.

Physiotherapeuten diskutieren aktiv mit!

Auch am letzten Kongresstag gab es Berufspolitik pur: In zwei aufeinanderfolgenden Podiumsdiskussionen ging es um Delegation und Substitution sowie um die Akademisierung der Gesundheitsberufe. Ute Mattfeld hat für PHYSIO-DEUTSCHLAND den Direktzugang und die Akademisierung für Physiotherapeuten gefordert und deren Nutzen begründet.

Die Präsenz der Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten war am dritten Kongresstag am stärksten spürbar. Gleich am Morgen ging es um das Thema Prävention von chronischen Erkrankungen und um das, was Ärzte und Physiotherapeuten beitragen können. Dr. Ellis Huber brachte es auf den Punkt: "Physiotherapie ist ein noch nicht gehobener Schatz", erklärte der Vorstandsvorsitzende des Berufsverbandes der Präventologen. Diese Steilvorlage nutzte Dr. Erwin Scherfer in seinem Vortrag über das Kooperationspotenzial zwischen Hausärzten und Physiotherapeuten direkt auf. Einen konkreten Gesprächsvorschlag zum Thema Sturzprophylaxe griff der Vertreter des Hausärzteverband, Prof. Dr. Jean-Francois Chenot, sofort auf.
In den berufspolitischen Podiumsveranstaltungen zum Thema Delegation beziehungsweise Direktzugang und Akademisierung mit ihren Auswirkungen auf das Gesundheitssystem kamen wichtige Diskussionsbeiträge aus dem Auditorium von Physiotherapeuten. Sie schilderten Ärzten, Ökonomen, Wissenschaftlern und anderen die praktischen Hürden der physiotherapeutischen Arbeit. Podium und Teilnehmer waren sich einig: strukturelle Veränderungen sind die Voraussetzung für die Gesundheitsversorgung von morgen. "Danke an alle, die sich mit ihren Argumenten so zahlreich und konstruktiv als Physiotherapeuten auf dem Hauptstadtkongress mit uns zu Wort gemeldet haben", betont Ute Mattfeld, Vorsitzende des Deutschen Verbandes für Physiotherapie.

PHYSIO-DEUTSCHLAND zieht positives Fazit

"Im Nachgang zu diesem Kongress werden wir die neu geknüpften und intensivierten Kontakte nutzen, um die Interessen unserer Mitglieder weiter in der Politik und bei den Kostenträgern zu verankern. Wir bleiben am Ball. Denn: Es ist angekommen, dass wir Physiotherapeuten wichtig sind, und dass sich an unseren Rahmenbedingungen etwas ändern muss", so das erste Fazit von Ute Mattfeld am Ende des Kongresses.

Rund 8.100 Teilnehmer aus allen Berufsgruppen des Gesundheitswesens haben auch in diesem Jahr diese Netzwerk- und Diskussionsplattform für ihre inhaltliche und berufspolitische Arbeit genutzt.

Schon jetzt vormerken: Der Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit 2015 findet vom 10. bis 12. Juni 2015 statt. Mehr Informationen finden Interessierte unter www.hauptstadtkongress.de.