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19.02.2015

Stellenwert und Potenzial der Physiotherapie in Krankenhäusern – DRGs: Fluch oder Chance?

Etwa 42 Prozent der Krankenhäuser befinden sich laut Krankenhaus Rating Report 2014 in finanzieller Schieflage. Das sind zwar weniger als im Jahr zuvor, aber rosig sieht die finanzielle Situation deswegen für viele nach wie vor nicht aus. Die Folge sind: Personalabbau, Auslagerungen von Abteilungen, Ausstieg aus Tarifverträgen und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Angestellten. Davon sind auch Physiotherapeuten betroffen.

Nach einer Statistik aus dem Jahr 2013 arbeiten in 2.017 Krankenhäusern etwa zwölf Prozent der 136.000 Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten. "Als Interessenvertretung der Physiotherapeuten in Deutschland ist es unsere Aufgabe, die Situation der Kolleginnen und Kollegen zu analysieren und bestmögliche Unterstützung für ihre Arbeit zu geben", erklärt Stefanie Fimm, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Verbandes für Physiotherapie. Sie ist im Bundesvorstand schwerpunktmäßig für die Arbeit der Angestellten zuständig.

Wissen über System vermitteln, um Potenziale zu heben

"Ich bin der festen Überzeugung, dass wir den Stellenwert der Physiotherapie in Kliniken am effektivsten steigern können, wenn möglichst viele Kolleginnen und Kollegen mehr Informationen und Wissen über das Finanzsystem und die Einnahmequellen der Krankenhäuser haben", betont Stefanie Fimm. Die Physiotherapeutin leitet die physiotherapeutischen Abteilungen in den Unikliniken Kiel und Lübeck und kennt die Probleme, aber auch die Chancen, die sich Physiotherapeuten in Krankenhäusern bieten.

Wenn wir den ökonomischen Nutzen der Physiotherapie in Krankenhäusern besser als bislang darstellen möchten, sind zwei Bereiche von besonderer Bedeutung:

  1. eine patientenbezogene Leistungserfassung mit hoher Transparenz über die physiotherapeutischen Maßnahmen sowie 

  2.  die Entwicklung und Optimierung physiotherapeutischer Behandlungspfade, die standardisiert – aber auf den Patienten zugeschnitten – umgesetzt werden.

Doch warum das alles? Wie berechnen sich eigentlich die Einnahmen der Krankenhäuser? Auf was sollten Physiotherapeuten bei der Leistungserfassung und im Gespräch darüber mit der Krankenhausleitung achten?

Daten aus den Krankenhäusern bilden die Grundlage für Leistungsberechnungen

Fakt ist: Der Erlös, den ein Krankenhaus für einen Patienten erhält, richtet sich nach Diagnose, Nebendiagnose, Komplikationen und Komorbiditäten sowie nach dem Aufwand des Krankenhauses für den Patienten. Das alles bildet sich in dem seit 2002 neu aufgesetzten DRG-System für die Abrechnung von Krankenhausleistungen. Seit 2009 ist die Einführungsphase dieses Abrechnungssystems abgeschlossen und die ersten Preise eingeführt. Seit dem Beginn der Einführung der sogenannten Diagnosis Related Groups (DRG) sammelt das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) die Daten aus den sogenannten Kalkulationskrankenhäusern in Deutschland.

Die Kalkulationskrankhäuser sind verpflichtet dem InEK jedes Jahr umfassendes Datenmaterial zukommen zu lassen. Darauf aufbauend gibt es dann jährliche Anpassungen und Erweiterungen innerhalb dieses Systems. Deshalb ist es wichtig, gerade im noch unterrepräsentierten Bereich der Physiotherapie, mehr Informationen als bislang zu sammeln. Denn: Nur was bekannt ist, kann auch in die Kostenberechnung einfließen!

"Im ersten Schritt ist es aus unserer Sicht wichtig für jeden Leitenden Physiotherapeuten zu wissen, ob das eigene Krankenhaus ein Kalkulationskrankenhaus ist", sagt Stefanie Fimm. Ist dies der Fall, sollten unbedingt möglichst viele Informationen aus der Physiotherapie in die Daten des Krankenhauses für das InEK einfließen.

Denn: Dem InEK kommt bei der Berechnung der DRGs eine besondere Rolle zu. Das Institut berechnet aus den Kosten und Abrechnungsdaten des Vorjahres im laufenden Jahr die DRGs des Folgejahres. Dieser Mechanismus führt dazu, dass Systemänderungen immer zwei Jahre Vorlauf haben. Ein Beispiel: Das InEK wertet die Daten aus 2013 im Folgejahr 2014 aus und berechnet die neuen DRGs, die dann für das Jahr 2015 als Abrechnungspositionen für die Krankenhäuser gelten.

Den DRGs sind spezielle Kodierungen nach Diagnosegruppen, Schweregrad und Maßnahmen zugrunde gelegt. Dadurch kann das InEK nicht nur die Preisanpassungen berechnen, sondern auch bundesweit Fälle miteinander vergleichen, um Kostenunterschiede zu ermitteln.

DRGs bilden Erlös und Kosten ab

Bei der Entwicklung der DRG-Gruppen hat man darauf geachtet, dass die Patienten innerhalb einer bestimmten Gruppe vergleichbare bis gleiche Leistungen erhalten und ähnliche Diagnosen haben. Das ist die Voraussetzung für eine Vergleichbarkeit und korrekte Berechnung der Aufwände.

Bei der Berechnung einer DRG legt das InEK die mittlere Verweildauer der Patienten im bundesweiten Mittel zugrunde. Darüber hinaus gibt es eine untere und eine obere Verweilgrenze für die entsprechenden Diagnosen. Damit ist ein Patient für ein Krankenhaus "kostendeckend", wenn er genau so lange stationär behandelt wird, wie die durchschnittliche Verweildauer für seine Diagnose es vorsieht. Liegt er an der oberen Grenze der erfassten Behandlungsdauer, zahlt das Krankenhaus hinzu. Kann er schon nach der unteren Verweildauergrenze nach Hause oder in die Reha entlassen werden, hat das Krankenhaus einen Überschuss erwirtschaftet. Das Abrechnungssystem basiert auf dem Grundsatz, dass Krankenhäuser kostendeckend arbeiten können müssen, aber möglichst keinen Gewinn erzielen. Verluste soll es allerdings auch nicht geben.

Leistungserfassung als Daseinsberechtigung

Jedes Krankenhaus ist grundsätzlich daran interessiert, möglichst alle Leistungen zu erfassen, die ein Patient im Rahmen einer stationären Behandlung erhalten hat. Nur dann kann das Krankenhaus prüfen, ob die Kosten durch den Erlös aus der jeweiligen DRG gedeckt sind.

Allerdings liegen Anspruch und Wirklichkeit nicht selten auseinander. Noch nicht in allen physiotherapeutischen Abteilungen erfolgt die Leistungserfassung standardisiert und vollständig. "Hier sehe ich große Chancen, unsere Argumente in Gesprächen mit den Krankenhausverantwortlichen mit Fakten zu untermauern", betont Stefanie Fimm die Wichtigkeit der Leistungserfassung. "Es geht hierbei nicht um Kontrolle der Mitarbeiter, sondern um ihre Daseinsberechtigung", rückt sie den Stellenwert an die richtige Stelle.

Mit eigenen Zahlen kann man Vorschläge erarbeiten und einbringen, die die Existenz der eigenen physiotherapeutischen Abteilung sichern kann. Ziel dabei ist eine qualitativ hohe Versorgung, die sich optimalerweise "gewinnbringend" für das Krankenhaus auswirkt.

Noch ist es so, dass Kolleginnen und Kollegen aus den physiotherapeutischen Abteilungen meist nicht frühzeitig in geplante Veränderungen einbezogen werden. Meistens sind es wir Physiotherapeuten, die Umstrukturierungsmaßnahmen zu spät erfahren und Handlungsspielräume nicht mehr wirklich vorhanden sind. Das muss sich ändern. "Mein Ziel ist es, uns Physiotherapeuten als qualifizierten Ansprechpartner für unseren Leistungsbereich frühzeitig bei Entscheidungsprozessen ins Spiel zu bringen", betont Stefanie Fimm. "Wir wissen, was wir leisten können. Aber das müssen auch andere innerhalb des Krankenhausgefüges erfahren", so die stellvertretende Vorsitzende.

Eine lückenlose patientenbezogene Leistungserfassung kann aus mehreren Gründen dabei hilfreich sein. Denn:

  • Alle am Patienten erbrachten Leistungen sind jederzeit nachvollziehbar.

  • Wir dokumentieren, dass eine qualitativ hochwertige Therapie nicht nur den Bereich "Dienstleistung am Patienten", sondern auch die Bereiche "Kommunikation für den Patienten" und "Administration für den Patienten" enthalten.

  • Wir decken Potenziale auf und können eventuell Abläufe zwischen einzelnen Abteilungen optimieren.

  • Wir machen die Therapievielfalt eines Hauses sichtbar.

  • Wir zeigen Qualifikationen und Spezialisierungen der Kolleginnen und Kollegen in der Therapie auf.

"Wir Physiotherapeuten müssen den Nutzen unserer Tätigkeit nachweisen. Das wird kein anderer für uns übernehmen", weiß Stefanie Fimm aus Erfahrung. Auf der Suche nach unwirtschaftlichen Leistungen, die gestrichen werden können, gerät auch die Physiotherapie auf den Prüfstand. Wird innerhalb eines Krankenhauses zu wenig deutlich, was wir Physiotherapeuten mit unseren Leistungen bewirken, kommen schnell Überlegungen auf, manche Tätigkeiten von anderen Berufsgruppen ausführen zu lassen oder gar völlig zu streichen. Klassisches Beispiel ist sicher die Gangschule nach einer Operation. "Wir müssen zeigen, dass Gangschule einen höheren Nutzen hat, als ein Spaziergang mit einem Angehörigen oder eine postoperative Atemtherapie nicht durch ein Merkblatt ersetzt werden kann."

Mit einer standardisierten Dokumentation, bei der zuvor festgelegte Messinstrumente und Verfahren innerhalb der Physiotherapie-Abteilung zur Anwendung kommen, ergeben sich zahlreiche Vorteile:

  • Wir können erfolgreiche Behandlungen darstellen.

  • Wir können weniger erfolgreiche Behandlungen identifizieren.

  • Wir können effizient mit Ärzten und anderen Berufsgruppen kommunizieren.

  • Wir schaffen ein Verständnis für wissenschaftliche Denkweisen und integrieren diese in die tägliche Praxis.

  • Wir befähigen unsere Patienten, eigene Bewertung des Behandlungs- und Rehabilitationsgeschehens und deren Ergebnisse zum Ausdruck zu bringen.

  • Wir erweitern unsere Perspektive auf unseren eigenen Beruf.

  • Wir stellen die Physiotherapie nach außen dar, als einen Berufsstand, der seine Arbeit nach wissenschaftlichen Kriterien selbst kontrolliert. 

  • Wir unterstreichen unsere Professionalität und den Nutzen der Physiotherapie in schwierigen ökonomischen Zeiten.

Klinische Behandlungspfade sichern Kostenkalkulation der Krankenhäuser

Die Ergebnisse unserer Dokumentation sollten auch unbedingt in die Entwicklung sogenannter klinischer Pfade einfließen. In immer mehr Krankenhäusern kommen Behandlungspfade zum Einsatz. Darin sind alle Prozeduren und Maßnahmen für einen Patienten ab dem Zeitpunkt der stationären Aufnahme bis zur Entlassung verankert. Mit dem standardisierten Vorgehen von Aufnahme bis zur Entlassung des Patienten wird eine hohe Transparenz bezüglich der anfallenden Kosten und auch der Abläufe erreicht. Damit können die Häuser die Kosten besser errechnen und sehen, ob und wie sie mit dem zukünftigen DRG-Erlös auskommen werden.

Zudem kann darin ein bestimmter Mindestqualitätsstandard festgeschrieben werden. Aus physiotherapeutischer Sicht ist es wichtig, nicht nur die reine physiotherapeutische Dienstleistung am Patienten festzuhalten, sondern auch den Dokumentationsaufwand sowie die für den Patienten anfallenden Rüst- und Kommunikationszeiten wie beispielsweise Visiten und Arztgespräche. In einem Behandlungspfad sollte die Art der Leistung beziehungsweise die Tätigkeit vermerkt sein. Damit das Ergebnis aber aussagekräftig ist, muss ein Behandlungspfad beschreiben, was gemacht wird und vor allem auch wie lange es dauert. Aus beiden Faktoren zusammen können dann die Kosten ermittelt werden.

"Bei all diesen komplexen Punkten geht um den Erhalt der physiotherapeutischen Arbeitsplätze in einem Krankenhaus. Mit geht es aber auch um die Weiterentwicklung und die Zukunft der Physiotherapie insgesamt", betont Stefanie Fimm. "Ich lade alle interessierten Kolleginnen und Kollegen aus dem stationären Bereich ein: Kommen Sie am 19. März 2015 zum DRG-Symposium auf der therapie in Leipzig und diskutieren Sie mit mir und vielen weiteren Teilnehmern über die Frage ‚DRGs: Fluch oder Chance?‘. Ich freue mich auf Sie."