18.09.2012
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Fachkreise
BarmerGEK Heil- und Hilfsmittelreport 2012 in Berlin vorgestellt
Der Trend der letzten Jahre setzt sich fort: Im Heil- und Hilfsmittelbereich gibt es weiterhin eine Über-, Unter- und Fehlversorgung. Aus physiotherapeutischer Sicht geht es in dem diesjährigen Report um die Heilmittelversorgung im Pflegeheim, die Versorgung von Patienten mit Epicondylitis und die Massagetherapie in Zeiten der Evidenzbasierten Medizin.
Ausgaben für Heil- und Hilfsmittel steigen kontinuierlich an
"Wir haben es mit einem Wachstumsmarkt erster Güte zu tun", sind sich der stellvertretende Vorsitzende der BarmerGEK, Dr. Rolf-Ulrich Schlenker, und der Bremer Versorgungsforscher, Dr. Gerd Glaeske, sicher. Die Ausgaben für Heilmittel in der Gesetzlichen Krankenversicherung sind in den letzten fünf Jahren um 22 Prozent auf 4,9 Milliarden gestiegen. Der stellvertretende Kassenchef spricht von einer guten Versorgungslage, mahnt jedoch einen Zuwachs an medizinischer Evidenz an. Die Autoren des Reports haben Zweifel, ob die Mehrleistungen auch tatsächlich bei denjenigen ankommen, die wirklich einen Nutzen davon hätten.Massageverordnungen gehäuft bei Wirbelsäulenerkrankungen
Massage kann laut Heilmittelkatalog bei fast allen Indikationen vom Arzt verordnet werden und ist stets unter den zehn ausgabenstärksten Positionen im Heilmittelbereich zu finden. Lag die Massage 2003 noch an zweiter Stelle der ausgabenstärksten Positionen, liegt sie in den Jahren 2009 und 2010 noch an fünfter Stelle. Laut Heil- und Hilfsmittelreport kommen 85 Prozent der Massageverordnungen bei Wirbelsäulenerkrankungen zum Einsatz, davon 50 Prozent bei chronischen Rückenbeschwerden. Evidenz zur Effektivität von Massagen werden aber eher bei akuten und subaktuen Wirbelsäulenbeschwerden beschrieben.In diesem Jahr führten die Autoren des Reports erstmals eine Befragung unter Physiotherapeuten durch: Der Deutsche Verband für Physiotherapie (ZVK) unterstützte die Online-Befragung von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, die ergab, dass die Patienten im Allgemeinen sehr überzeugt vom Nutzen der Massage sind und chronische Beschwerden der häufigste Anlass für die Therapie darstellt. Zu betonen ist, dass 50 Prozent der Kolleginnen und Kollegen angaben, dass sie alleinige Massagetechniken für wenig oder gar nicht sinnvoll halten. Dies passt zur derzeitigen Evidenzlage. Denn: Vor allem bei chronischen Beschwerden ist die Kombination aus aktiven und passiven Maßnahmen der Physiotherapie empfehlenswert. "Die Ergebnisse der Befragung und des Reports zeigen, dass das Verordnungsverhalten hier noch nicht der aktuellen Evidenz entspricht", betont der Generalsekretär des Deutschen Verbandes für Physiotherapie (ZVK), Eckhardt Böhle. "Wir werden weiter bei Ärzten und Patienten dafür werben, dass verstärkt evidenzbasierte Therapien in Form von aktiven Maßnahmen zum Einsatz kommen. Nur so können wir die Betroffenen bestmöglich mit Physiotherapie versorgen", untermauert Eckhardt Böhle den Nutzen von Evidenz für die Patientenversorgung.
Potenzielle Unterversorgung von Patienten mit Demenz in Pflegeheimen
Derzeit sind rund 2,3 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI). Das Bundesgesundheitsministerium ist bereits 2010 davon ausgegangen, dass sich diese Zahl bis 2040 auf 3,6 Millionen erhöhen wird. Derzeit werden die meisten Pflegebedürftigen im häuslichen Umfeld versorgt, doch der Bedarf an Pflegestellen in Heimen steigt stetig an. Es gibt derzeit noch wenige Informationen über die Versorgung von Heilmitteln in Pflegeheimen. Aus diesem Grund hat die BarmerGEK gemeinsam mit dem Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) in Bremen dieses Thema im diesjährigen Report genauer analysiert. Die Analyse für das Jahr 2009 zeigt, dass rund 36 Prozent der untersuchten Pflegebedürftigen mindestens eine Verordnung für physiotherapeutische Leistungen erhalten haben. Auffällig ist, dass die Zahl derjenigen, die Physiotherapie erhalten, mit zunehmendem Alter auf 31 Prozent zurück geht. Dies widerspricht in gewisser Weise der vorhandenen S3-Leitlinie für die Versorgung von Patienten mit Demenz, die zum Schluss kommt, dass der Einsatz von körperlichen Aktivierungsmaßnahmen im Rahmen einer Demenz sinnvoll sein kann. Ob und wie weit körperliche Aktivität gerade Menschen mit Demenz besonders hilft, muss allerdings in weiteren Studien noch genauer analysiert werden.Strauß an Maßnahmen bei Epicondylitis
Besonders beeindruckt war der stellvertretende Vorsitzende der BarmerGEK, Dr. Rolf-Ulrich Schlenker, in der Pressekonferenz am 18. September 2012 in Berlin vom Therapiespektrum bei Epicondylitis: 2011 erkrankten 240.000 Versicherte der BarmerGEK an der Diagnose "Epicondylitis". "Die Therapie geht von Abwarten bis zur Operation. Da ist alles dabei", zeigte sich Rolf-Ulrich Schlenker überrascht. Evidenzbasierte Leitlinien mit klarer Therapieempfehlung sind hier noch Mangelware. Die S1-Leitlinie von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie nennt fünf medikamentöse, zwölf physiotherapeutische, drei orthopädietechnische und vier operative Maßnahmen parallel. "Es gibt hier scheinbar verschiedene Therapieansätze, aber wohl keine etablierte Behandlung", sagt Dr. Rolf-Ulrich Schlenker auf der Pressekonferenz. Sowohl im Heil- als auch im Bereich der Hilfsmittel untermauert der diesjährige BarmerGEK Heil- und Hilfsmittelreport zum wiederholten Mal die immer noch fehlende Evidenz in diesen Leistungsbereichen. Es gibt zu wenige Studien, die nutzenorientierte Therapie belegen und vorhandenes Wissen fließt nicht ausreichend in das Verordnungsverhalten ein. Der Appell der Autoren gilt den Fachgesellschaften, hier mehr zu tun als bislang. Darüber hinaus betont Prof. Dr. Glaeske nochmals die Empfehlungen des Sachverständigenrates von 2009, mehr finanzielle Mittel für gezielte Versorgungsforschung in Deutschland zu Verfügung zu stellen. "Wieder einmal unterstützt der BarmerGEK Heil- und Hilfsmittelreport unsere bereits seit Jahren erhobene Forderung nach leitlinienorientierter und evidenzbasierter Physiotherapie. Es führt kein Weg daran vorbei, die physiotherapeutische Forschung weiter voran zu bringen und die bestehenden Wissenslücken zu schließen", sagt Ute Mattfeld als zuständiges Vorstandsmitglied des Deutschen Verbandes für Physiotherapie (ZVK). "Wir stehen als Verband für die Akademisierung und damit für Wissenschaft und Forschung. Darüber hinaus bieten wir den Kostenträgern strukturierte Behandlungsprogramme an, die besonders die Unter- und Fehlversorgungssituationen beispielsweise bei Schlaganfall, Rückenschmerzen oder Schleudertrauma beseitigen können", betont Ute Mattfeld die Chancen für eine optimierte Patientenversorgung. Ute MerzPressereferentin