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18.02.2019

Fachkräftemangel und die Auswirkungen auf Politik, Patienten und Therapeuten

Am 24. Januar 2019 hat die Bundesagentur für Arbeit die neue Fachkräfteanalyse für das 2. Halbjahr 2018 veröffentlicht. Wieder untermauern die Zahlen das, was alle Praxisinhaber und deren Angestellte tagtäglich spüren: Der Fachkräftemangel ist harte Realität für Therapeuten und Patienten – lange Wartezeiten, unbesetzte Stellen, fehlende Kapazitäten und eine massive Arbeitsverdichtung für Physiotherapeuten sind die Folgen. Die Politik muss konsequent gegensteuern, um an der aktuellen Situation spürbar etwas zu verbessern. Deshalb fordert PHYSIO-DEUTSCHLAND bessere Vergütungen, eine Modernisierung der Ausbildung und eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Physiotherapie in Deutschland.

Unser Beruf muss attraktiver werden und die Arbeitsbelastung jedes Einzelnen muss auf ein vernünftiges Maß sinken. "Fehlende Kapazitäten, geringer Verdienst und übermäßige Bürokratie schaden nicht nur den Therapeuten, sondern auch den Patienten. Das hat die Politik mittlerweile verstanden und nun müssen Lösungen her", erklärt Andrea Rädlein, Vorsitzende von PHYSIO-DEUTSCHLAND.

Die Fakten im Überblick

Im Juli 2018 waren offene Stellen in der Physiotherapie durchschnittlich 157 Tage lang unbesetzt. Im zweiten Halbjahr 2018 hat es laut Bundesagentur für Arbeit durchschnittlich 167 Tage lang gedauert, bis eine offene Stelle in der Physiotherapie wiederbesetzt war. Damit suchen Praxisinhaber knapp 50 Prozent länger nach neuen Mitarbeitern als Arbeitgeber in anderen Bereichen. Unser Wartezeitenbarometer hat 2018 gezeigt, dass etwa 70 Prozent der an den Umfragen teilgenommenen Praxen kontinuierlich neue Mitarbeiter suchen. "Wir wissen, dass viele Kolleginnen und Kollegen dem Beruf den Rücken kehren, um dem geringen Verdienst und der Belastung zu entkommen", so Andrea Rädlein.

PHYSIO-DEUTSCHLAND fordert und unterstützt deshalb Regelungen, die Physiotherapeuten im Beruf halten. Dabei gilt es, Qualifikationen von Selbstständigen, Angestellten sowie Lehrkräften und angehenden Therapeuten zu nutzen und weiter zu fördern. Veränderungen müssen dazu beitragen, die Berufe attraktiver zu machen und neue Berufsangehörige zu gewinnen. Denn: Tatsache ist, dass alle Berufsangehörigen und angehenden Therapeuten eine sich wandelnde Patientenversorgung erleben – mit unterschiedlichen Ansprüchen und Bedürfnissen.

Modernisierung ist ein Prozess

Der Beruf des Physiotherapeuten muss attraktiver werden. Es geht dabei um eine stärkere Wertschätzung der Leistung von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten. Denn: Physiotherapie trägt zum gesellschaftlichen Wohl der Menschen in Deutschland bei und hat einen volkswirtschaftlichen Nutzen. Zum Ausdruck kommt Wertschätzung für Physiotherapeuten unter anderem durch eine angemessene Vergütung und durch verbesserte Rahmenbedingungen für den Beruf.

Aber auch eine Modernisierung der Ausbildungsform und der Ausbildungsinhalte ist unumgänglich, um unseren Beruf zukunftsfähig zu machen und dem bundesweiten Fachkräftemangel entgegenzuwirken. "Wir sehen die Modernisierung der Physiotherapie als einen fließenden Prozess, bei dem es neben der Sicherung der Patientenversorgung um das Wohl der Physiotherapeuten in Deutschland geht", betont die Vorsitzende von PHYSIO-DEUTSCHLAND.

Ausbildungsvergütung - gut gemeint ist leider nicht gut gemacht

Aufgrund des Fachkräftemangels in den Gesundheitsfachberufen und der Pflege drehen Politik und Gewerkschaften aktuell an zahlreichen Stellschrauben, um junge Menschen für die Pflege und die Gesundheitsfachberufe stärker als bislang zu interessieren. Beschlossene Maßnahmen zielen auf eine höhere Wertschätzung und verbesserte Rahmenbedingungen – auch der Physiotherapie – ab, das begrüßt PHYSIO-DEUTSCHLAND ausdrücklich.

Bei der Umsetzung einiger Beschlüsse bleiben allerdings Fragen offen. Außerdem betreffen sie vereinzelt nur Teile unserer Berufsgruppe, so zum Beispiel beim Thema Ausbildungsvergütung.

PHYSIO-DEUTSCHLAND bemängelt Schnellschüsse, deren Umsetzung nicht ausreichend durchdacht ist, und die die Berufsangehörigen vor Ort vor unlösbare Probleme stellen oder sogar deren Arbeitsplätze gefährden. Ein Beispiel: Die von der Gewerkschaft ver.di vereinbarte Ausbildungsvergütung für die Gesundheitsfachberufe wie der Physiotherapie gilt nur für Auszubildende an Universitätskliniken und kommunalen Krankenhäusern. Weitere Voraussetzung: Das Krankenhaus muss Tarifpartner sein. ver.di unterstützt nur Mitglieder bei der Durchsetzung ihrer neuen Ansprüche. Dieses Vorgehen hat das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2018 zwar grundsätzlich bestätigt, allerdings reduziert es die Zahl der Begünstigten nochmals erheblich.

Wir begrüßen die bessere Wertschätzung der angehenden Therapeutinnen und Therapeuten. Allerdings ist die Ausbildungsvergütung für einen so geringen Anteil der angehenden Therapeuten ungerecht und aus unserer Sicht nicht abschließend durchdacht. So werden die privaten Schulen, denen es unter den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen nicht möglich ist, eine Ausbildungsvergütung zu zahlen, aktuell massiv benachteiligt. Für PHYSIO-DEUTSCHLAND steht außerdem fest, dass die Zahlung einer Ausbildungsvergütung in tarifgebundenen Kliniken keinesfalls negative Auswirkungen auf den Stellenplan von Physiotherapeuten in Krankenhäusern haben darf.

Fazit: Wertschätzung für eine gesamte Berufsgruppe sieht aus Sicht von PHYSIO-DEUTSCHLAND anders aus. Im ersten Schritt müssen die Ausbildungen schnellstmöglich bundesweit für alle komplett kostenfrei sein.

Perspektive der Physiotherapie

Die Gesetze der Gesundheitsfachberufe und somit auch der Physiotherapie sind teilweise über 30 Jahre alt. Eine Novellierung ist dringend geboten. Bei der Pflege hat der Gesetzgeber im vergangenen Jahr bereits eine Modernisierung der Ausbildung verabschiedet. Nun sollen die Gesetze der Gesundheitsfachberufe folgen. Damit greift der Gesetzgeber eine langjährige Forderung von PHYSIO-DEUTSCHLAND auf.

PHYSIO-DEUTSCHLAND steht für eine grundständige hochschulische Ausbildung zum Physiotherapeuten, so wie dies weltweit bereits seit Jahren Standard ist. Als Zwischenschritt hin zur Akademisierung fordert PHYSIO-DEUTSCHLAND nun aber von der Politik eine rasche Modernisierung der fachschulischen Ausbildung. Diese muss kompetenzorientiert und selbstverständlich kostenfrei sein.

Einer hochschulischen Ausbildung als Regelausbildung erteilt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn aktuell noch eine Absage. Dabei hat der Wissenschaftsrat bereits im Jahr 2012 eine verstärkte hochschulische Ausbildung für die Gesundheitsberufe empfohlen. Damals lag die Empfehlung bei 10 bis 20 Prozent eines Ausbildungsjahres, die akademisch qualifiziert werden sollten. Aktuell liegt die Quote in der Physiotherapie unwesentlich über zwei Prozent. Der Grund: Die zeitliche Befristung der Modellklausel für primärqualifizierende Studiengänge durch den Gesetzgeber und damit verbunden deutlich zu wenige Studienplätze bundesweit für angehende Physiotherapeuten. Die Bundesländer stellen die erforderlichen Studienplätze für Physiotherapie noch nicht zur Verfügung. Hier muss dringend ein Umdenken in den Bundesländern erfolgen.

Erste Fortschritte gibt es in Sachen Modernisierung der Berufsgesetze: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat der Bund-/Länderkommission den Auftrag erteilt, Eckpunkte für die Überarbeitung der Berufsgesetze der Gesundheitsfachberufe vorzulegen. Mit ersten Ergebnissen rechnet der Minister im Laufe des Jahres 2019. Dabei soll auch über neue Ausbildungskonzepte nachgedacht werden. So soll beispielsweise die neue Ausbildungs- und Prüfungsordnung – wie beim neuen Pflegegesetz auch - kompetenzorientiert gestaltet sein. Das ist ein wichtiger Teilaspekt bei der Modernisierung der Physiotherapie in Deutschland. Weitere perspektivische Schritte wie die Etablierung einer hochschulischen Ausbildung und finanzielle Mittel zum Aufbau physiotherapeutischer Forschung sind aus Sicht von PHYSIO-DEUTSCHLAND ebenfalls erforderlich.