Medizin ohne jede Wartezeit - das ist eine Utopie
Dreimal länger warten Kassenpatienten im Vergleich zu Privatversicherten auf einen Arzttermin. Eine Form der Rationierung, wie es sie fast überall gibt, in Deutschland aber noch eher ungewohnt ist. Die Ursachen sind ökonomischer und politischer Natur - eine, wahrscheinlich wachsende Kluft zwischen Leistungskatalog, Leistungsanspruch und bezahlten Ressourcen.
Für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung gibt es drei Aspekte, drei Voraussetzungen.
1. Bedarfsgerechter Leistungskatalog: Mit dieser Forderung muss die Feststellung verbunden werden, dass es keine wissenschaftlich begründete Definition eines bedarfsgerechten Leistungskatalogs gibt. Weltweit wird Bedarfsgerechtigkeit unterschiedlich definiert. In der Regel hat sich der Leistungskatalog historisch entwickelt und ist nicht zuletzt abhängig von der Struktur des Gesundheitswesens wie staatlich finanziert oder Versicherungssystem.
2. Bedarfsgerechte Finanzierung des Leistungskatalogs: Es ist unbestritten, dass Art und Umfang eines Leistungskatalogs von der Höhe der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel abhängen.
3. Leistungsgerechte Honorierung der Leistungserbringer: In keinem Beruf kann eine qualitativ hochwertige Leistung bei unzureichender Finanzierung erwartet werden. Geht die leistungsgerechte Honorierung verloren, und in dieser Situation befinden wir uns heute, sind Wartezeiten die Folge.
Nur bedarfsgerecht honorierte Ärzte sind auf Dauer auch motivierte Ärzte, und nur motivierte Ärzte erbringen eine gute Medizin. Dies gilt für niedergelassene Ärzte wie für Krankenhausärzte.
Alle drei Aspekte, bedarfsgerechter Leistungskatalog, bedarfsgerechte Finanzierung des Leistungskatalogs und leistungsgerechte Honorierung der Leistungserbringer bilden eine Einheit. Die Politik hat jedoch zu keiner Zeit versucht, eine Synthese zwischen diesen drei Aspekten herzustellen.
4. Eine Folge: Rationierung: Ein Gesundheitswesen ohne jegliche Rationierung ist nicht vorstellbar. Dies würde bedeuten, dass jeder Patient uneingeschränkt Leistungen nachfragen kann, die Leistungen müssten gewährt werden. Dies ist utopisch, dies gibt es in keinem Land der Welt.
Die offene Rationierung ist die öffentlich gemachte Rationierung und damit in erster Linie ein Leistungsausschluss durch den Gesetzgeber, beispielsweise die Ausklammerung rezeptfreier Arzneimittel, des Sterbegeldes oder der meisten Sehhilfen. In Deutschland überwiegt jedoch bei weitem die ständige Ausweitung des Leistungskatalogs, was in Verbindung mit einer nicht ausreichenden Finanzausstattung zur stillen Rationierung führt.
Eine stille Rationierung findet statt, wenn der Gesetzgeber keine Anpassung des Leistungskatalogs an das zur Verfügung stehende Finanzvolumen vornimmt, auch verdeckte oder geheime Rationierung genannt. Die häufigste Form ist die Budgetierung; deren Folgen sind:
Wartezeiten. Über das Hinausschieben von Terminen wird versucht, einen Ausgleich zwischen Leistungsanspruch und Finanzvolumen herzustellen. Dies gibt es fast überall. Dabei können sich die Wartezeiten auf Jahre belaufen, etwa in Irland.
Personalverringerung. Der Mangel an Geld hat Entlassungen zur Folge. Dies betrifft offenbar eher Pflegekräfte als Ärzte. Die Folgen sind mangelnde Zuwendung und Nachlassen in der Hygiene. Die Zunahme von Krankenhausinfektionen ist auch eine Folge fehlenden Pflegepersonals. Es hat den Anschein, dass wir auch in Deutschland vor einer derartigen Situation stehen.
FAZIT
Wartezeiten auf einen Arzttermin, Wartezeiten auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung haben einen Grund: die fehlende Synthese zwischen den drei Aspekten einer bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung, bedarfsgerechter Leistungskatalog, bedarfsgerechte Finanzierung des Leistungskatalogs und leistungsgerechte Honorierung der Leistungserbringer. Wer Wartezeiten von Krankenkassenpatienten bei niedergelassenen Ärzten beklagt, sollte nach den Gründen suchen: Die Therapie ist in erster Linie eine leistungsgerechte Honorierung des Arztes.