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09.01.2009 – Bundesverband

Rückenschmerzen: Viele Therapieverfahren nicht effektiv

Pressemitteilung der Pressestelle der deutschen Ärzteschaft

Berlin, 09.01.2009, Rückenbeschwerden verursachen häufiger Arbeitsunfähigkeit als jede andere Diagnose. Nach den neuesten Untersuchungen haben fast fünf Prozent der Bevölkerung Rücken­schmerzen mit hoher Beeinträchtigung, sagte Prof. Dr. Jan Hildebrandt, Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), auf dem 33. Interdisziplinären Forum „Fortschritt und Fortbildung in der Medizin“ der Bundesärzte­kammer in Berlin. Dadurch entstünden allein bei diesen Patienten jährlich Kosten von durchschnittlich rund 7.116 Euro pro Patient. Auch in der Rehabilitationsbehandlung sind  Rückenbeschwerden der größte Kostenfaktor.

„Die klassische medizinische Sichtweise stößt bei Rücken­beschwerden an ihre Grenzen“, erklärte Hildebrandt. „Die enorm verbesserten bildgebenden Möglichkeiten können spezifische Erkrankungen und die Ursache von Ischialgien klar darstellen, zum Verständnis von Rückenschmerzen haben sie jedoch nur einen sehr begrenzten Beitrag geliefert.“ Die Fülle an therapeuti­schen Ansätzen, ob klassisch konservativ, minimal-invasiv oder offen operativ konnte ebenfalls nicht zu einer entscheidenden Verringerung der Krankheitszeit beitragen. „Entsprechend haben sich bei streng wissenschaftlichen Untersuchungen die meisten Verfahren zur Behandlung akuter und chronischer Rücken­schmerzen  als nicht effektiv erwiesen“, sagte Hildebrandt. So habe man die Wirksamkeit der meisten Injektionen wie muskuläre Infiltration oder Facettenblockaden, Bettruhe, Korsetts oder Bandagen und auch die von physikalischen Therapieverfahren wie Wärme- und Kälteanwendungen sowie Elektrotherapie, Bäder, Akupunktur und elektrische Nervenstimulation (TENS) bisher noch nicht nachweisen können. Auch Massage würde kontrovers diskutiert, sei aber allenfalls ebenso wie Chirotherapie nur schwach und nur in Kombination mit anderen Maßnahmen wirksam, so Hildebrandt.

Inzwischen setze sich jedoch in Deutschland allmählich ein Paradigmenwechsel in der Behandlung von Rückenschmerzen durch, bei dem frühzeitige Aktivität und körperliche Belastung zur Verhinderung einer Chronifizierung ebenso eine Rolle spielten wie die rechtzeitige Erkennung psychosozialer Belastungsfaktoren. „Dabei muss eine alltagstaugliche Rückenbelastbarkeit angestrebt werden, verbunden mit einer vermehrten Patientenkompetenz und einer sich daraus ableitenden verminderten Inanspruchnahme des medizinischen Systems. Die Pati­enten müssen dabei - unter kontrol­lierten Bedingungen - die Erfah­rung machen, dass Bewegung und Belastung ihnen nicht schaden, sondern im Gegenteil zur Auf­rechterhaltung des gesamten körperlichen Systems notwendig sind“, betonte der Experte. Ein sport- oder kranken­gymnastisches Training könne auf diese Weise – neben den primären Zie­len der Ver­besserung der Körper­koordination, Gelenkfunktion, Mus­kelkraft- und Aus­dauersteigerung – auch zu positiven Verhaltensänderungen führen. Darüber ­hinaus werde ein weiterer Effekt durch die Stabili­sierung und Kräf­tigung der für die Biomechanik wichtigen Anteile der Rumpfmuskula­tur erreicht. „Allerdings ist dieses therapeutische Vorgehen bei chronifizierten Schmerzen nicht billig zu haben und wird derzeit von den Krankenkassen kaum bezahlt“, kritisierte Hildebrandt.

Quelle: Bundesärztekammer, www.bundesaerztekammer.de