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09.02.2005 – Bundesverband

Die Kritik an der aktuellen Gesundheitspolitik bekommt immer prominentere Stimmen

Seehofer will gegen neoliberale Strömungen kämpfen / Berliner Patientenbeauftragte warnt vor medizinischer Unterversorgung von Menschen mit geringem Einkommen.
Der designierte neue bayerische Präsident des Sozialverbands VdK, Horst Seehofer, will in seinem künftigen Amt die jetzige Linie der Sozialpolitik hart kritisieren. \"Wir haben seit Jahren eine verhängnisvolle Entwicklung in der Gesellschaftspolitik. 20 Prozent der Menschen leben besser, aber 80 Prozent geht es schlechter. Das kann doch nicht Ziel von Politik sein\", sagte in der Sendung \"Maischberger\". Er werde sich als VdK-Verantwortlicher entschieden gegen die derzeitigen Tendenzen der ständigen Privatisierung aller Lebensrisiken wenden, kündigte der CSU-Vize an. \"Ich werde mit aller Kraft gegen die ganzen neoliberalen Strömungen im Land kämpfen. \"Es gibt da ein großes Kartell in Deutschland, und derzeit findet ein Wettlauf statt, wer am radikalsten ohne Rücksicht auf Verluste reformiert\", betonte Seehofer. Es müsse zwar Veränderungen in der Sozial- und Gesundheitspolitik geben, \"aber alles sollte mit Maß und Menschlichkeit geschehen\". Die Berliner Patienten-Beauftragte bleibt nach 100 Tagen im Amt mit ihrer Kritik nicht hinterm Berg. Karin Stötzner warnt vor medizinischer Unterversorgung von Menschen mit geringem Einkommen. Ursache sei die Praxisgebühr und die Zuzahlungen für Medikamente. Immer mehr Berliner seien auch ohne Krankenversicherung, weil sie die Beiträge schwer aufbringen könnten. Seit Hartz IV seien unverheiratete Frauen, die mit einem Partner zusammenlebten und keine staatliche Unterstützung mehr erhielten, zum Beispiel nicht länger gesetzlich versichert. Klagen gebe es auch über zu frühe Entlassungen aus Krankenhäusern, die beispielsweise verschleppte Infektionen zur Folge hatten. Bei alten und kranken Menschen fehle es an Pflegeleistungen, die psychische Betreuung oder Haushaltshilfe für die Angehörigen mit einschlössen. \"Ich warte nur darauf, dass die Krankenhäuser Alarm schlagen\", sagte die Patientenanwältin in Berlin, das einzige Bundesland, das eine Patientenbeauftragte hat. Dass diese Situation nicht nur auf Berlin beschränkt ist, dürfte auch die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Helga Kühn-Mengel, wissen. Allerdings scheint diese recht überfordert zu sein. Für die nicht überraschend große Anzahl von Anfragen braucht sie Monate – und das für falsche Antworten, wie in dem Fall eines aufgebohrten Zahnes. Die Patientin war wegen mehrfacher Röntgenaufnahmen durch den Zahnarzt besorgt. Auf ihre Frage an die Patientenbeauftragte, wie dadurch die wirkliche Belastung sei und ob dies den Knochen schädige, bekam sie erst nach dem vierten Brief vier Monate nach ihrem ersten Schreiben endlich eine Antwort. Eine fachkundige Antwort auf ihre Frage blieb jedoch aus. \"Weiterhin bitte ich Sie um Verständnis, dass es mir von hier aus nicht möglich ist, Ihre konkreten medizinischen Fragestellungen zu beantworten\", heißt es. Zudem gab Kühn-Mengel zu bedenken, dass es keine allgemein gültige Beantwortung zum Thema Strahlenbelastung durch mehrmaliges Röntgen gebe. \"Das ist schlicht falsch\", konterte der Vizepräsident der Berliner Zahnärztekammer, Jürgen Gromball. und zitiert aus einem Bericht des Bundesamtes für Strahlenschutz. Eine Veränderung des Blutbildes, die noch reversibel ist, werde erst bei einer Strahlendosis von 250 bis 500 Millisievert provoziert. \"Dafür müsste ich einen Zahn 25 000 bis 50 000 Mal röntgen.\" Die Angst der Patientin vor einer zu hohen Strahlendosis sei \"völlig unbegründet\", so Gromball. Zudem habe der Zahnmediziner nach ärztlicher Kunst gehandelt. Apropos: Die Berliner Patientenbeauftragte Karin Stötzner reagierte prompt und richtig, als dieselbe Patientin sie anschrieb.