25.03.2006
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Bundesverband
Mehr als Donnergrollen
In der großen Koalition zeichnen sich schwierige Debatten sofort nach den Landtagswahlen ab - und ein politisches Drehbuch fehlt
VON RICHARD MENG
Es gibt SPD-Politiker, die erklären alles mit dem Fluch der bösen Tat. Die \"Basta\"-Politik Gerhard Schröders habe nun mal tiefe Spuren hinterlassen, hat einer von ihnen kürzlich einem ratsuchenden CDU-Mann erläutert. Nach den Jahren der Knebelung lasse man sich in der SPD nicht schon wieder überfahren. Dem Unionspolitiker hat das grundsätzlich eingeleuchtet - aber beruhigt hat es ihn nicht. Denn die \"zweite Phase\" der großen Koalition mit mehreren großen Reformprojekten, die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gerade per Interview ausgerufen hat, steht unmittelbar bevor.
In gut einer Woche, nach den drei Landtagswahlen, beginnt sie. Und die SPD ist unterschwellig längst viel unruhiger, als es der CDU lieb ist. Mittendrin in diesem Gerangel und zunehmend unter skeptischer Beobachtung des Koalitionspartners: Peter Struck, der SPD-Fraktionschef, der all die absehbaren Konflikte moderieren muss.
Auf die Landtagswahlen am übernächsten Sonntag wird zwar vordergründig immer verwiesen, wenn in Berlin jetzt zwischen SPD und Union zu Tarif- und Föderalismusfragen öffentlich gerangelt wird. Tatsächlich aber sind diese Wahlen fast schon abgehakt. Die Ministerpräsidenten in Stuttgart, Mainz und Magdeburg werden, wenn die Umfragen stimmen, wohl im Amt bleiben. Eine Art Unentschieden wäre das, aus Berliner Sicht. Psychologisch also keine neue Lage für die große Koalition. Umso intensiver kreisen die Gedanken hinter den Kulissen um die nächsten Themen: Gesundheitsreform und Niedriglohn. Und offen bleibt derzeit, wie weit Struck dabei willens ist, die SPD-Abgeordneten hinter Regierungskonzepte zu zwingen.
Zur Föderalismusreform, vorbereitet durch den heutigen Vizekanzler Franz Müntefering (SPD), hat der neue Fraktionschef gerade gezeigt, dass er sie nicht als sein Herzensanliegen sieht. Vier wichtige Änderungen hat Struck vom Rednerpult des Bundestags aus ins Gespräch gebracht, um den SPD-Unmut zu kanalisieren - und dabei \"mit dem Feuer gespielt\", wie es ein Abgeordneter sagt. Nicht nur durch die Differenzen mit Müntefering, der Korrekturen vermeiden wollte. Sondern auch, weil sich beim Koalitionspartner der Eindruck festsetzt, ihm gehe Geschlossenheit der SPD-Fraktion vor Geschlossenheit der Koalition.
Nach Strucks neuem Aufschlag gelten Änderungen am alten Konzept als unvermeidbar. Die Unionsoberen sind darüber stinksauer und vermuten beim Fraktionschef - mehr noch bei SPD-Chef Platzeck - systematische Absetzbewegungen. Da ist mehr als fernes Donnergrollen vernehmbar: Die Union wirkt ratlos, ob die Merkel-Strategie noch aufgeht, bei heiklen Regierungsprojekten auf Absprachen mit Müntefering oder einzelnen, als vertrauenswürdig betrachteten SPD-Ressortchefs zu setzen. Während umgekehrt in der SPD-Fraktion rapide der Mut wächst, den Regierungskurs zu kritisieren.
Am Tag eins nach den Landtagswahlen wird das zweite große Thema anstehen: die Gesundheitsreform. Da sind Union und SPD sich derzeit nur im Ärger darüber einig, dass die Medienberichte über Ideen aus dem Ministerium von Ulla Schmidt (SPD) offenbar ernst zu nehmende Testballons gewesen sein könnten. Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags, eine kleine \"Kopfpauschale\" für alle, etwas stärkeres Heranziehen anderer Einkommensarten außer dem Lohn: Aus der SPD kamen dagegen sofort Proteste. Die für den 27. März erwarteten Vorschläge der Ministerin gelten als hochgradig heikel und die Unterstützung der eigenen Partei als unsicher. Und selbst, was der Arbeitsminister bis Sommer zum Thema Niedriglohn vorschlagen wird, könnte die SPD schwer enttäuschen. Denn die CDU-Seite geht fest davon aus, dass dieses Müntefering-Konzept für \"existenzsichernde Löhne\" den Staat kein zusätzliches Geld kosten darf.
Föderalismus, Gesundheit, Niedriglohn: Es droht ein unübersichtliches Nebeneinander strittiger Debatten über alle größeren Projekte. Zwischen zuständigen SPD-Ministern und der CDU einerseits, zwischen SPD-Ministern und SPD andererseits. Mit dem Risiko, dass der Koalition eine große Blockade bevorsteht, die im Herbst dann in einem großen Kompromiss-\"Paket\" aufgelöst werden muss. Bislang gibt es für die nächsten Monate aber nirgends einen Plan, kein kluges politisches Drehbuch. Aus Angst vor Indiskretionen gehen Union und SPD relativ unvorbereitet in Merkels \"zweite Phase\". Von Klarheit, wo sinnvolle Kompromisse liegen könnten, ganz zu schweigen.
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