Login Mitglieder
A- A A+ Startseite Patienten‌ & Interessierte Fachkreise
01.03.2023

Landesverband Bayern von PHYSIO-DEUTSCHLAND veröffentlicht einen offenen Brief an den Staatsminister für Gesundheit und Pflege, Klaus Holetschek

In Reaktion auf die Pressemitteilung "Holetschek: Zusammenspiel aus Hoch- und Fachschulausbildung sichert physiotherapeutische Versorgung – Bayerns Gesundheitsminister: Vom Bund geplante Vollakademisierung des Berufes ist ein Irrweg“ vom 25. Februar 2023:

Sehr geehrter Herr Staatsminister Holetschek,

wir danken Ihnen für Ihr Engagement in Sachen Akademisierung der Therapieberufe. Eine Reform der Therapieberufe Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie ist längst überfällig. Im Fokus dabei steht die therapeutische Versorgung der Patientinnen und Patienten. Immer komplexer werdende Krankheitsbilder und die demografische Entwicklung erfordern eine Weiterentwicklung der Versorgung und damit auch der Therapieberufe. Wirtschaftliche Interessen Einzelner und Inseldenken dürfen bei den anstehenden Reformen allerdings nicht das Handeln bestimmen.

Aktuell entwickelt sich die Diskussion in verschiedene Richtungen – bezugnehmend auf Ihre Pressemitteilung vom 25. Februar 2023 gehen einige Punkte in die richtige Richtung, einige sind allerdings widersprüchlich und manche würden der therapeutischen Versorgung der Patientinnen und Patienten in Deutschland nachhaltig schaden.

Mit diesem offenen Brief unterstützen wir Ihre Forderung nach dem Erhalt zweier Berufe in der Physiotherapie – dem Masseur/der Masseurin und dem Physiotherapeuten/der Physiotherapeutin. Beide Berufe nehmen schon heute eine wichtige Rolle in der Gesundheitsversorgung ein. Diese Rolle gilt es, bei der anstehenden Reform weiterzuentwickeln. Die Vorteile der beiden Berufe liegen auf der Hand: Eine Ausbildung zum Masseur/zur Masseurin sichert weiterhin den Zugang für junge Menschen mit mittlerem Bildungsabschluss in den Therapiebereich. Diesem Personenkreis wird die Möglichkeit geboten, mit diesem Abschluss sich an einer Hochschule zur/m Physiotherapeutin/en zu qualifizieren. Auch Blinde- und Sehbehinderte können so weiterhin einen wichtigen Beitrag in der therapeutischen Versorgung leisten

Allerdings halten wir das geplante Nebeneinander von fachschulischer und hochschulischer Ausbildung zur Erreichung der Berufsbezeichnung Physiotherapeut/Physiotherapeutin für einen Irrweg. Er ist teuer, sorgt für Verwirrung bei Patientinnen und Patienten sowie bei den verordnenden Ärzten und Ärztinnen. Wir müssen den Status quo, wie er seit dem Start der Modellphase 2009 für primärqualifizierende Studiengänge bereits besteht, weiterentwickeln und nicht manifestieren. Eine Weiterentwicklung der Berufe und der therapeutischen Versorgung, u. a. im Hinblick auf die zukünftigen komplexen Herausforderungen der Gesundheitsversorgung, bleibt bei den aktuellen Überlegungen auf der Strecke. Das kann weder in Ihrem noch im Interesse der Patientinnen und Patienten liegen.

Wir fordern die Verantwortlichen in den Bundesländern und der Bundesregierung auf, für Klarheit und eine dringend notwendige Weiterentwicklung der therapeutischen Versorgung der Patientinnen und Patienten zu sorgen. Das kann nur mit der Reformierung zur Ausbildung des Masseurs/der Masseurin und der Einführung der regelhaft hochschulischen Ausbildung zum Physiotherapeut/zur Physiotherapeutin gelingen.

Denn: Mit einer Übergangszeit von 10 bis 15 Jahren ist die Transformation der Ausbildungen der Therapieberufe ins Hochschulsystem möglich. Die Ressourcen im Bereich der Fachschulen sollen nach unseren Vorschlägen integriert werden, statt verloren zu gehen.

Die Modellstudiengänge in den Therapieberufen auf Länderebene sind schon jetzt Meilensteine auf dem Weg zur akademischen Ausbildung. Das Interesse an den Studienplätzen ist viel höher als die Kapazitäten und übersteigt bei weitem das Interesse an der fachschulischen Ausbildung. Werden die vorhandenen Potenziale ausgeschöpft, müssen - bezogen auf alle drei Berufe - nach Schätzungen des Bündnisses Therapieberufe an die Hochschulen durchschnittlich acht primärqualifizierende Studiengänge pro Bundesland – verteilt auf zehn Jahre Übergangszeit – neu eingerichtet werden.

Um den bestehenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken, braucht es bessere Perspektiven für die Therapieberufe. Es braucht klare Versorgungszuordnungen und erweiterte Kompetenzen. Ein klares Berufsprofil mit Perspektiven der beruflichen Entwicklung kombiniert mit einer modernisierten Versorgungsstruktur macht die therapeutische Versorgung als Berufsfeld für junge Menschen attraktiver. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten.

Wir erwarten von den politischen Entscheidern den erforderlichen Mut, um die längst überfälligen Anpassungen hin zu einer hochschulischen Ausbildung der Therapieberufe Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie politisch auf den Weg zu bringen – gemeinsam mit der Bundesregierung. Schaffen Sie klare Strukturen und die erforderliche finanzielle Infrastruktur zur Weiterentwicklung der Therapieberufe nach internationalem Standard. In allen anderen EU-Mitgliedsstaaten findet die Ausbildung der Therapieberufe bereits seit Jahren an Hochschulen statt. Deutschland bildet hier nicht nur europaweit, sondern auch weltweit das Schlusslicht bei der Akademisierung.

Lassen Sie uns gemeinsam Zukunft schreiben, im Sinne der Patientinnen und Patienten und einer flächendeckenden therapeutischen Versorgung nach wissenschaftlichem Standard!

Mit freundlichen Grüßen

Markus Norys

1. Vorsitzender PHYSIO-DEUTSCHLAND, LV Bayern