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01.11.2013 – Bundesverband

Physiotherapeut/In ab August 2014 für Bangladesch gesucht!

Im September 2010 startete ich in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, des kleinen Landes in Südasien, das östlich von Indien am Golf von Bengalen liegt das Projekt Physiotherapie in Mymensingh, 120 km oder vier Busstunden nördlich von Dhaka gelegen.
Ich arbeitete auf freiwilliger Basis, also ohne Bezahlung, als Physiotherapeutin und Gymnastiklehrerin für ein Jahr in der Nichtregierungsorganisation (NGO) "Mati" mit. Ich wollte auf eigene Initiative hin meinen Blickwinkel in der Physiotherapiearbeit erweitern, meine bisherigen Kenntnisse einsetzen und mehr Erfahrungen in einem mir noch fremden Land sammeln. Nach langem Suchen im Internet fand ich die Organisation "Mati" (bangla für "Erde") in Bangladesch, www.matibangladesh.org. Mati arbeitet seit 1997 als unabhängige Nichtregierungsorganisation rund um die Distrikthauptstadt Mymensingh im Norden Bangladeschs mit den ärmsten Familien zusammen. Gemeinsam suchen sie nach Möglichkeiten, ihre Lebenssituation nachhaltig zu verbessern und die absoluten Grundbedürfnisse für ein menschenwürdiges Leben zu befriedigen. Vor allem die Rechte der Frauen werden in dem vorwiegend muslimischen Land gestärkt, indem man viel Aufklärung betreibt und deren Möglichkeiten im Alltag, beim Studium und im Beruf erweitert. Gegründet wurde die Organisation von Bangladeschis und Deutschen zusammen. Es arbeiten vor Ort ungefähr 70 Einheimische mit, die jedes Jahr von meist deutschen Volontären unterstützt werden. Als freiwilliger Helfer lebt man in der Organisation zusammen, hat sein eigenes kleines Zimmer und eine Gemeinschaftsküche. Es ist eine sehr schlichte Unterkunft, mit nur kaltem Wasser, manchen Stromausfällen, aber mit einer sehr schönen familiären und gemeinschaftlichen Atmosphäre. Die Arbeit in Bangladesch als Physiotherapeut/In ist sehr vielfältig. Anfangs war es nicht einfach, den Leuten zu erklären, was man als Physiotherapeutin macht, und welche Beschwerden man behandeln kann, da die Therapie dort nahezu unbekannt ist. In Bangladesch gibt es kein Gesundheitssystem, wie wir es kennen, und so ist auch die Aufklärung über Gesundheit und Hygiene sehr schlecht. Da es keine Krankenversicherung gibt, können sich nur reiche Leute den Arztbesuch leisten, aber 50 Prozent des 160 Millionen Volkes leben unterhalb der Armutsgrenze, und haben aus finanziellen Gründen kaum Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung. Es hat lange gedauert, bis das Projekt ins Laufen gekommen ist, da ich von Null angefangen habe. Dank der Unterstützung von Mati und deren Übersetzern, konnte ein fester Therapie- und Gymnastikplan erstellt werden. So hat sich jeder Tag anders gestaltet, bis die Therapie an die Bedürfnisse vor Ort angepasst werden konnte.
Pro Woche finden zwei Sprechstunden statt, an denen jeder mit Problemen kommen darf. Die Behandlung ist kostenlos. Es kamen sowohl Rückenpatienten mit Nackenschmerzen oder Problemen im unteren Lendenwirbelbereich, als auch Knie-, Hüft,- Schulterschmerzpatienten und Patienten mit Schwindel.
Mein jüngster Patient war der kleine Tasin, damals drei Monate alt, der an zwei Klumpfüßen mit starken Ausprägungen litt. Er sollte eigentlich gleich nach der Geburt operiert werden, doch die Eltern entschieden sich dagegen, vermutlich weil sie Angst vor der Operation hatten. Seine Mutter war bei der Therapie sehr kooperativ, sodass sie mich mit Tasin jeden Tag besucht hat und ich ihr einige manuelle Griffe und das Bandagieren zeigen konnte, was sie dann selbst nochmals mit ihm Zuhause durchführte. Es war eine sehr schöne Zusammenarbeit, die ich vor allem der jungen Mutter zu verdanken habe. Ihr lag sehr viel daran, dass es ihrem Sohn besser geht, da gerade in Bangladesch viele Mütter für die Behinderungen ihrer Kinder verantwortlich gemacht werden. Nach ein paar Monaten wurden die Füße immer weicher, sodass Tasin bei seinen ersten Stehversuchen die Füße richtig belasten konnte. Die Spitzfußkomponente wurde von einem Arzt im Krankenhaus schnell behoben. Mit einer Prothese aus Deutschland, die er immer noch fleißig trägt, kann er heute frei laufen. Ein weiterer kleiner Patient, der wöchentlich mit seiner Mutter in die Therapie kam, war der 4-jährige Douhit, der seit seiner Geburt an einer Läsion des Plexus brachialis leidet. Seit der Therapie kann er seinen rechten Arm wieder besser bewegen und nun schon alleine essen. Da man in Bangladesch mit den Fingern isst und die linke Hand als unrein gilt und daher nicht zum Essen benutzt werden darf, musste Douhit vor der Therapie noch gefüttert werden. Ein Beispiel, das zeigt, dass die Menschen dort mit derartigen Bewegungsdefiziten nicht umgehen können und nicht probieren, ihre Kinder selbstständig zu erziehen. Ein weiterer großer Teil der Physiotherapiearbeit waren die Hausbesuche. Es war für mich eine besonders schöne und neue Erfahrung, die Leute in ihren einfachen Hütten zu besuchen, und sie auf dem Lehmboden mit den einfachsten Mitteln zu behandeln. Man bekommt einen besonders wertvollen Einblick in das Leben und die Kultur der Menschen. Es waren vor allem Patienten, die nicht in die Sprechstunde kommen konnten, wie Querschnitt- und Schlaganfallpatienten. Die 30-jährige Querschnittpatientin Bukul lag seit 20 Jahren fast ausschließlich in der Hütte der Familie. Nach ihrem Unfall kam sie in die Rehabilitation nach Dhaka, was sich die Familie aber nach ein paar Wochen aufgrund der hohen Fahrtkosten nicht mehr leisten konnte. Die Familie bekam damals von dem Reha-Centre einen Rollstuhl mit nach Hause. Seitdem liegt dieser in einer Ecke der Hütte, weil sie es nicht für notwendig erachteten, ihn auch zu gebrauchen. Jeder nimmt das Schicksal hin, auch wenn es für alle eine große Belastung ist. Behinderte werden in der Gesellschaft ausgeschlossen. So versteckt man seine behinderten Familienmitglieder in der Hütte und versorgt sie dort so weit es geht. Bukul leidet an starken Kontrakturen und Muskelschmerzen, hat aber noch etwas Bewegung in den Füßen. Seit einem Jahr bekommt sie dreimal wöchentlich Therapie, was ihr auch psychisch sehr gut tut, da sie wieder mehr ein Teil des Lebens sein kann. Es war schon ein großer Schritt für sie, das erste Mal mit dem Rollstuhl auf die Straße zu fahren. Auch ist es sehr wichtig, dass man den Angehörigen behinderter oder erkrankter Familienmitglieder zeigt, wie sie selbst aktiv werden können und nicht unnütz zusehen müssen. Sie sollen ein Gefühl für den Umgang mit Behinderungen bekommen und auch dafür, dass man nicht immer gleich das Schicksal akzeptieren muss, sondern mit kleinen Hilfen und viel Geduld das eigene Leben und das des anderen erleichtern kann. Es ist allerdings nicht immer einfach, den Leuten bewusst zu machen, wie notwendig es ist, die Übungen regelmäßig und langfristig durchzuführen, um eine Besserung spüren zu können. Ein weiterer sehr wichtiger Teil der Therapie ist die Rückenschule. Vor allem sehr viele Frauen leiden an verschiedenen Rückenschmerzen, was sicherlich meist an der typischen Sitzhaltung auf dem Boden liegt, in der die Frauen alle Hausarbeiten verrichten. Das Hauptziel bei den Behandlungen und wöchentlichen Rückenschulkursen war vor allem die Aufklärung darüber, dass die Frauen verstehen, woher Rückenschmerzen kommen können und mit welchen einfachen Übungen sie zuhause etwas dagegen tun können. Die Traditionen des Landes kann und soll man nicht ändern, aber man kann den Leuten Hilfestellungen geben, um ihren Alltag zu erleichtern. Den Frauen fehlt es stark an Körperbewusstsein und Körpergefühl, was auch sowohl an der Kultur und der Stellung der Frau liegt, als auch an der mangelnden Aufklärung im Bereich Gesundheit und Bewegung. Da die Frauen auch nicht viel draußen sind, weil sie es zum Teil nicht dürfen, fehlt ihnen der Platz für Bewegungsabläufe, die die Schmerzen automatisch lindern würden. So ist es eine sehr dankbare und wirksame Aufgabe, mit den Frauen wöchentliche Bewegungsstunden zu veranstalten, die ihnen Spaß an der Bewegung vermitteln und ihnen ihren Körper bewusster machen. Jede Woche findet auch einmal eine Bewegungsgruppe für Kinder statt, die an Hemiparese leiden. Die Kinder werden spielerisch gefördert, ihre betroffene Seite wieder im Alltag zu integrieren. Das Schöne an dieser Arbeit ist, dass die Kinder  unheimlich begeisterungsfähig und dankbar sind. In Bangladesch ist die Geburt alleinige Sache der Frau. Sie gebären ihre Kinder auf dem Boden ihrer Hütte, ohne ärztliche Versorgung oder Aufklärung. Viele Mütter sind noch sehr jung und daher mit vielem überfordert. Sie haben Angst vor der Geburt, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt. Es ist ein sehr sensibler und intimer Bereich, über den nur unter Frauen im engeren Kreis und manchmal nicht mal dort offen gesprochen wird. In dem physiotherapeutischen Bereich gibt es viele Möglichkeiten, die Frauen aufzuklären. Es war sehr interessant, ihnen das Handling der Babys zu zeigen, sie aufzuklären, was sie selbst tun können, um sich die Geburt zu erleichtern, und was sie danach an Rückbildung machen können. Das ist ein Gebiet, in dem man sicherlich noch viel tiefer und mehr arbeiten kann. Schon gleich am Anfang meiner Arbeit in der Physiotherapie habe ich gemerkt, dass man die Patienten meist nicht so spezifisch behandeln kann, wie man es aus Deutschland kennt. Zum einen, weil die ärztliche Voruntersuchung fehlt oder fehlerhaft ist. Zum anderen, da die Patienten oft nicht in der Lage sind, ihre Schmerzen und die Probleme zu beschreiben, weil ihnen das Körpergefühl dazu fehlt. Das macht vieles nicht einfach, doch man lernt, sich mehr auf seine eigenen Augen, seine Hände und sein Gefühl in der Therapie zu verlassen und sich so auf die Leute einzustellen. Man braucht bei der Arbeit immer viel Geduld. Sowohl wegen der Sprache, in die man sich erst mit der Zeit einhört, als auch wegen der Leute, für die das Konzept der Physiotherapie und Gymnastik völlig unbekannt war. Anfangs brauchte ich einen Übersetzer für die Therapien, doch nach einigen Sprachstunden konnte ich mich schon mit wenigen Worten auf Bangla gut verständigen. Was mir die Arbeit der Physiotherapie so angenehm machte, ist, dass ich Zeit mit den Patienten hatte. Ich konnte die Therapie so legen, wie ich es für richtig hielt, war an kein Rezept gebunden und so konnte ich häufig schnelle Besserungen beobachten. Einmal wöchentlich finden zwei Tanzgruppen mit Mädchen zwischen 9 und 16 Jahren statt, in denen sie Dehnungen lernen, Bewegungen auf Musik und verschiedene Choreografien, die an die dortige Kultur angepasst sind. Anfangs haben sie sich sehr geschämt, ihren Körper einzusetzen, da sie sich teilweise schon mit zehn Jahren verhüllen müssen. Doch mittlerweile sind sie begeistert und motiviert dabei. Es gab auch schon Tanzauftritte, an denen sie ihren Eltern und Nachbarn mit Stolz gezeigt haben, was sie Neues gelernt hatten.
Es gibt drei verschiedene Kindergartengruppen, in denen die Kinder in ihrer Entwicklung und ihrer Wahrnehmung gefördert werden. Es ist wichtig, dass die Kinder dort ihren Körper kennenlernen, die Grenzen spüren und vor allem die Mädchen in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden. Den Kindern fehlt die sportliche Förderung im Kindergarten oder in der Schule. So brauchen sie mehr Förderung der Beweglichkeit, Kreativität und Koordination und mehr Bewusstsein für den eigenen Körper. Alleine die Dankbarkeit der Leute zeigte mir, wie wichtig diese Arbeit in Bangladesch ist. Es ist eine schöne, interessante, aber auch nicht immer leichte Aufgabe, mit den Menschen einer anderen Kultur und anderen Hintergründen zusammenzuarbeiten. Es gibt Tage, an denen ich auf kulturelle Verständnisschwierigkeiten gestoßen bin und meine eigene Toleranzgrenze entdeckt habe. Auf der anderen Seite wurde ich immer wieder von den Menschen mit ihrer unglaublichen Offenheit, Freundlichkeit und Freude überrascht, was mir in Zeiten des Zweifelns den Mut und die Motivation zum Weitermachen gab. Man lernt sich selbst auszuprobieren, an seine Grenzen zu stoßen und man lernt die vielfältigen Möglichkeiten der Physiotherapie kennen.
Es gibt so viele Bereiche, in denen man dort aktiv werden kann, weshalb es so wichtig ist, dass jemand diese Arbeit weiterführt. Deshalb sind wir auf der Suche nach NachfolgerInnnen,
die ab August/September 2014 für mindestens 6-8 Monate
die Arbeit fortführen und Mati unterstützen, Physiotherapie weiter zu etablieren. Sie sind offen für neue Kulturen, Menschen und eine neue Sprache?
Sie interessieren sich dafür, in einem sozialen Projekt direkt an der Basis mitzuwirken, indem Sie Ihre Kenntnisse der Physiotherapie einbringen? Wir freuen uns über Ihre/Deine Bewerbung, Anfrage, jede Anregung oder neue Ideen, gerne an Steffi Rettenmeier steffi.rettenmeier(at)gmx.net. Informationen über Mati unter www.matibangladesh.org. Steffi Rettenmeier