28.11.2013
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Bundesverband
"Vorstand vor Ort":
Ute Mattfeld zu Besuch in der Privatpraxis bei Marisa Hoffmann in Nieder-Olm bei Mainz.
Liebe Marisa, herzlichen Dank, dass Du Dir Zeit für meinen Besuch genommen hast. Wir kennen uns schon einige Jahre durch Deine Tätigkeit als Beauftragte für Junioren- und Studierendenarbeit im Landesverband Hessen. Ich möchte mit Dir über Deinen beruflichen Werdegang und Deine spezielle therapeutische Ausrichtung sprechen.
Aktuell betreibst Du eine "Ein-Frau-Praxis" in Nieder-Olm bei Mainz. Würdest Du uns bitte ein paar Einblicke in Deinen beruflichen Werdegang geben?
Von 2001 bis 2005 habe ich an der Hochschule Fresenius studiert und mein Studium mit dem Bachelor of Health (NL) abgeschlossen. Direkt im Anschluss absolvierte ich ein zweisemestriges Masterstudium in Southhampton, England. Zwischen 2006 und 2008 arbeitete ich als Physiotherapeutin in einem ambulanten Rehazentrum in Mainz. Mein Schwerpunkt dort lag auf der Betreuung von Patienten mit orthopädischen und traumatologischen Erkrankungen.
2008 war ich ein Semester lang als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Idstein tätig. 2009 übernahm ich die fachliche Leitung in einer Praxis für interdisziplinäre Schmerzbehandlung in Mainz. Und last but not least, führe ich seit 2012 eine Privatpraxis in Nieder-Olm bei Mainz. Außerdem bin ich an der Katholischen Hochschule Mainz Lehrbeauftragte für das Modul „Clinical Reasoning“ sowie Dozentin in Ausbildung für den Weiterbildungsgang CRAFTA®. Dieses Jahr im März habe ich noch die OMT-Weiterbildung abgeschlossen.
Welche Kompetenzen hast Du durch Dein Bachelor- und Masterstudium erworben, die Du heute am Patienten gut einsetzen kannst?
Besonders hervorzuheben sind für mich das Clinical Reasoning und die Kommunikation mit dem Patienten.
Wie muss ich mir das in der Praxis vorstellen?
Jeder Therapie liegt ein ausführlicher physiotherapeutischer Befund zugrunde. Ich halte gemeinsam mit dem Patienten seine Erwartungen und Ziele schriftlich fest. Meinen Behandlungsansatz baue ich auf aktuelle Studienergebnisse und auf Grundsätze der evidenzbasierten Medizin auf. Im Studium habe ich auch gelernt, schnell und einfach neueste Literatur zu sichten und neue Erkenntnisse direkt in die Behandlung meiner Patienten einfließen zu lassen. Durch diesen Grundsatz sind meine Analyse und der Befund sicher, die Therapie optimiert und stets "up to date".
Meine ständig laufende Kontrolle und Wiederbefundung während der Behandlung ist für mich die Kontrollsteuerung. Ich hinterfrage kontinuierlich, ob ich auf dem richtigen Weg bin und ob ich das richtige tue. Ich habe diese grundlegende und sehr systematische Herangehensweise im Studium erlernt, bin mir jedoch sicher, dass erfahrene und entsprechend weitergebildete Kolleginnen und Kollegen vergleichbar vorgehen, auch ohne akademischen Abschluss.
Das gleiche gilt für die patientengerechte Kommunikation. Es ist sehr wesentlich, dass wir beispielsweise mit chronisch kranken Patienten positiv sprechen. Gespräche dürfen nicht suggestiv und müssen auch bei schwierigen Patienten angemessen sein. Das Wissen und die Reflektion über Patientenkommunikation war Inhalt meines Studiums. Mir ist bewusst, welche Rolle ich als Therapeutin spiele und wo ich beispielsweise auch mal Grenzen setzen muss. Der Patient soll verstehen, dass er für sich selbst Verantwortung übernehmen muss. Aber auch im Kontakt mit Ärzten merke ich, dass meine fundierte Ausbildung mich selbstbewusst macht und ich ein Gespräch auf Augenhöhe führen kann.
Du hast Dich bewusst spezialisiert. Dein Schwerpunkt ist die Behandlung von Kiefer-Kopf-Gesichtsschmerzen. Wie bist Du auf diesen Bereich gekommen und welche Patienten kommen zu Dir?
Zunächst habe ich Fortbildungen in allen Richtungen gemacht und bin erst mit der Zeit auf mein heutiges "Spezialgebiet" gestoßen. Der Funke sprang über und ich habe mich gezielt weitergebildet. 2010 habe ich meine CRAFTA-Ausbildung abgeschlossen und assistiere mittlerweile auch in Weiterbildungen in diesem Bereich.
Mir gefällt besonders die Zusammenarbeit mit den Zahnärzten, die unsere Arbeit als Physiotherapeuten außerordentlich wertschätzen. Meine Patienten haben oft jahrelang unter Schmerzen gelitten, wie beispielweise Patienten mit Kopfschmerzen oder Tinnitus. Es sind auch viele Patienten darunter, die von ihrem Zahnarzt oder Kieferchirurgen zu mir geschickt werden, um Schienen zu erhalten, mit denen Fehlstellungen korrigiert werden. Außerdem therapiere ich Kinder mit Zahnfehlstellungen und Gesichtsasymmetrien. Aber auch Patienten mit lange bestehender HWS-Problematik kommen in meine Praxis.
Egal welche Diagnose der Therapie zugrunde liegt, ich folge dem Grundsatz, dass das Therapieziel für die Motivation des Patienten entscheidend ist und das "Selbstmanagement des Patienten" eine entscheidende Rolle spielt. Dabei geht es um mehr als ein normales Hausaufgabenprogramm: Mir geht es zusätzlich um Alltagsbewegungen und Haltung sowie um die Einstellung zu Schmerzen und die vielleicht daraus resultierenden Einschränkung.
Warum hast Du Dich für eine reine Privatpraxis entschieden?
Durch meine Privatpraxis kann ich mir erlauben, die Behandlung patientengerecht zu gestalten. Im Alltag bedeutet das, dass ich die letzten Behandlungen zeitlich nach hinten schiebe - manchmal bewusst bis zu mehrere Wochen, um mit dem Patienten die Langzeitwirkung und sein Wohlbefinden in therapiefreier Zeit zu erfassen. Ziel meines Therapieansatzes sind kurze Behandlungsserien. Denn nur so kann ich selbst das Behandlungsziel im Auge behalten. Mir ist bewusst, dass die in meinen Augen notwendige Anpassung der Therapie mit dem aktuell gültigen Heilmittelkatalog kollidiert.
Ich habe diese Herangehensweise vor allem während meiner Auslandsaufenthalte in den USA und Großbritannien kennen gelernt. Wenn dort nach sechs Behandlungen das Ziel der Therapie nicht erreicht ist, muss eine Überprüfung des Vorgehens und der Maßnahmen durch eine SeniorPT erfolgen. Dieses Prinzip ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. Ich überprüfe kontinuierlich meinen Therapieansatz und möchte das Ziel niemals aus den Augen verlieren.
Dieser Therapieansatz lässt sich nicht ohne weiteres auf chronische Krankheitsbilder anwenden. Deshalb habe ich wenige Patienten mit neurologischen und chronischen Krankheitsbildern in der Praxis, ich bin auf orthopädisch/chirurgische Beschwerdebilder spezialisiert.
Marisa, mit fällt auf, dass Du in Deiner Praxis keine Dokumentation mithilfe von Karteikarten führst, sondern alles elektronisch machst. Wie sieht denn Deine Dokumentation des Befundes oder der Patientenaufklärung aus?
Ich verwende bis auf die Regelung zur Kostenübernahme praktisch keine Papiere mehr, sondern gebe alles in meine Praxissoftware ein. Mein Anbieter hat entsprechende Programme, von der Patientenaufklärung bis zu individuellen Fragebogen. Ich kläre meine Patienten mündlich ausführlich auf und frage den Allgemeinzustand über einen Fragebogen ab. Dokumentiert wird das alles elektronisch. Außerdem nutze ich weitere Fragebögen, die ich zum Beispiel speziell für die Patienten, die im Direktzugang kommen, benutze. Direktzugang? Ja, ich habe die sektorale Heilpraktikerzulassung Physiotherapie und kann somit Patienten behandeln, die ohne ärztliche Überweisung zu mir kommen. Hier habe ich eine besondere Sorgfaltspflicht und schalte automatisch ein Screening vor die Behandlung. Screening bedeutet, ich prüfe, ob der Patient tatsächlich für eine physiotherapeutische Behandlung geeignet ist - also keine ungewöhnlichen Symptome oder Verläufe vorliegen. Ich benutze einen Fragebogen, der in der OMT-Weiterbildung empfohlen wurde und ursprünglich aus den USA stammt. Hast Du schon Patienten durch das Screening ablehnen müssen? Schätzungsweise ist jeder 15. Patient im Screening auffällig. Diese Patienten schicke ich zum Hausarzt oder zum zuständigen Spezialisten. Das ist eine durchaus schwierige Situation. Denn die Patienten haben oft eine lange Krankengeschichte und möchten eine Behandlung erhalten. Dennoch ist es richtig und wichtig, an dieser Stelle verantwortungsvoll und im Interesse des Patienten zu handeln. Gegenüber dem Arzt entsteht eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. In den betreffenden Fällen rufen die Mediziner an und bestätigen mein Handeln. Dies wiederum bestätigt mich in meinem Tun und das spiegele ich auch meinen Patienten zurück. Du hast Dir mit Deiner Praxis einen Traum erfüllt, bist unabhängig und selbstbestimmt. Und finanziell? Mir war es immer wichtig, selbstbestimmt arbeiten zu können und mir eine Praxis zu schaffen, in der ich gerne bin. Ich habe keine Angestellten und kann die Kosten der Praxis gegenfinanzieren. Meine Kompetenzen kommen meinen Patienten zugute und die lasse ich mir bezahlen. Ich habe einen Minutenpreis, der über einem Euro pro Minute liegt. Meine Erstbehandlung – also mein Befund - dauert 40 bis 60 Minuten und meine Behandlungen bewegen sich um die 40 Minuten. Die meisten Patienten akzeptieren das -- erstaunlicherweise oft Selbstzahler, die ohne Zuschuss von Beihilfe und Privatkassen die Therapie bezahlen. Es hilft mir, dass in GKV-Praxen im Raum Mainz teilweise Wartezeiten auf eine derart spezialisierte Therapie von bis zu acht Wochen bestehen. Welche Erwartungen hast Du an unseren Berufsverband? Mir liegt es besonders am Herzen, dass unser Berufsbild und unser Stand in der Gesellschaft gestärkt werden. Ein Baustein dafür ist für mich der Direktzugang des Patienten zum Physiotherapeuten. Ich möchte dauerhaft als Physiotherapeutin nicht den Umweg über das Heilpraktikergesetz nehmen müssen. Außerdem muss aus meiner Sicht unsere künftige Ausbildung akademisch sein. Dadurch wird es selbstverständlich Studien zu lesen, zu verstehen und anzuwenden. Denn, es ist für mich elementar, dass wir neueste Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Techniken und Methoden kennen und anwenden. Ich möchte mich als Physiotherapeutin deutlich von den Osteopathen abgrenzen. Denn ich beziehe mich in meiner Therapie auf unser physiotherapeutisches Know how und auf die Wissenschaft. Um beispielhaft die Ziele Direktzugang und Akademisierung für uns Physiotherapeuten erreichen zu können, brauchen wir Interessenvertreter, die leidenschaftlich für unseren Berufstand kämpfen. Ich weiß, was das beinhaltet und wie zäh berufspolitische Arbeit sein kann, weil ich nicht nur Mitglied in PHYSIO-DEUTSCHLAND bin, sondern mich von 2008 bis 2012 im Landesverband Hessen im Bereich Junioren/Studierende engagiert habe. Derzeit kann ich aus zeitlichen Gründen nicht weiter aktiv in PHYSIO-DEUTSCHLAND sein, aber ich weiß, dass PHYSIO-DEUTSCHLAND meine Interessen vertritt und unseren Berufsstand voran bringt. Das Gespräch führte Ute Mattfeld, Vorsitzende des Deutschen Verbandes für Physiotherapie (ZVK).
Marisa, mit fällt auf, dass Du in Deiner Praxis keine Dokumentation mithilfe von Karteikarten führst, sondern alles elektronisch machst. Wie sieht denn Deine Dokumentation des Befundes oder der Patientenaufklärung aus?
Ich verwende bis auf die Regelung zur Kostenübernahme praktisch keine Papiere mehr, sondern gebe alles in meine Praxissoftware ein. Mein Anbieter hat entsprechende Programme, von der Patientenaufklärung bis zu individuellen Fragebogen. Ich kläre meine Patienten mündlich ausführlich auf und frage den Allgemeinzustand über einen Fragebogen ab. Dokumentiert wird das alles elektronisch. Außerdem nutze ich weitere Fragebögen, die ich zum Beispiel speziell für die Patienten, die im Direktzugang kommen, benutze. Direktzugang? Ja, ich habe die sektorale Heilpraktikerzulassung Physiotherapie und kann somit Patienten behandeln, die ohne ärztliche Überweisung zu mir kommen. Hier habe ich eine besondere Sorgfaltspflicht und schalte automatisch ein Screening vor die Behandlung. Screening bedeutet, ich prüfe, ob der Patient tatsächlich für eine physiotherapeutische Behandlung geeignet ist - also keine ungewöhnlichen Symptome oder Verläufe vorliegen. Ich benutze einen Fragebogen, der in der OMT-Weiterbildung empfohlen wurde und ursprünglich aus den USA stammt. Hast Du schon Patienten durch das Screening ablehnen müssen? Schätzungsweise ist jeder 15. Patient im Screening auffällig. Diese Patienten schicke ich zum Hausarzt oder zum zuständigen Spezialisten. Das ist eine durchaus schwierige Situation. Denn die Patienten haben oft eine lange Krankengeschichte und möchten eine Behandlung erhalten. Dennoch ist es richtig und wichtig, an dieser Stelle verantwortungsvoll und im Interesse des Patienten zu handeln. Gegenüber dem Arzt entsteht eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. In den betreffenden Fällen rufen die Mediziner an und bestätigen mein Handeln. Dies wiederum bestätigt mich in meinem Tun und das spiegele ich auch meinen Patienten zurück. Du hast Dir mit Deiner Praxis einen Traum erfüllt, bist unabhängig und selbstbestimmt. Und finanziell? Mir war es immer wichtig, selbstbestimmt arbeiten zu können und mir eine Praxis zu schaffen, in der ich gerne bin. Ich habe keine Angestellten und kann die Kosten der Praxis gegenfinanzieren. Meine Kompetenzen kommen meinen Patienten zugute und die lasse ich mir bezahlen. Ich habe einen Minutenpreis, der über einem Euro pro Minute liegt. Meine Erstbehandlung – also mein Befund - dauert 40 bis 60 Minuten und meine Behandlungen bewegen sich um die 40 Minuten. Die meisten Patienten akzeptieren das -- erstaunlicherweise oft Selbstzahler, die ohne Zuschuss von Beihilfe und Privatkassen die Therapie bezahlen. Es hilft mir, dass in GKV-Praxen im Raum Mainz teilweise Wartezeiten auf eine derart spezialisierte Therapie von bis zu acht Wochen bestehen. Welche Erwartungen hast Du an unseren Berufsverband? Mir liegt es besonders am Herzen, dass unser Berufsbild und unser Stand in der Gesellschaft gestärkt werden. Ein Baustein dafür ist für mich der Direktzugang des Patienten zum Physiotherapeuten. Ich möchte dauerhaft als Physiotherapeutin nicht den Umweg über das Heilpraktikergesetz nehmen müssen. Außerdem muss aus meiner Sicht unsere künftige Ausbildung akademisch sein. Dadurch wird es selbstverständlich Studien zu lesen, zu verstehen und anzuwenden. Denn, es ist für mich elementar, dass wir neueste Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Techniken und Methoden kennen und anwenden. Ich möchte mich als Physiotherapeutin deutlich von den Osteopathen abgrenzen. Denn ich beziehe mich in meiner Therapie auf unser physiotherapeutisches Know how und auf die Wissenschaft. Um beispielhaft die Ziele Direktzugang und Akademisierung für uns Physiotherapeuten erreichen zu können, brauchen wir Interessenvertreter, die leidenschaftlich für unseren Berufstand kämpfen. Ich weiß, was das beinhaltet und wie zäh berufspolitische Arbeit sein kann, weil ich nicht nur Mitglied in PHYSIO-DEUTSCHLAND bin, sondern mich von 2008 bis 2012 im Landesverband Hessen im Bereich Junioren/Studierende engagiert habe. Derzeit kann ich aus zeitlichen Gründen nicht weiter aktiv in PHYSIO-DEUTSCHLAND sein, aber ich weiß, dass PHYSIO-DEUTSCHLAND meine Interessen vertritt und unseren Berufsstand voran bringt. Das Gespräch führte Ute Mattfeld, Vorsitzende des Deutschen Verbandes für Physiotherapie (ZVK).
Liebe Leserinnen und Leser,
sicherlich können viele von Ihnen die hier beschriebenen Rahmenbedingungen nicht auf die eigene Praxis übertragen. Dennoch gibt es Aspekte, die für alle Praxisinhaber wichtig sind:- angemessener Preis für Privatpatienten
- flexibles Therapiemanagement
- optimierte Dokumentation, die den Arbeitsalltag erleichtert