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18.07.2018

Bedarfsgerechte Steuerung – eine Chance für die Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung?

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat Anfang Juli sein Gutachten 2018 an den Staatssekretär Lutz Hoppe im Bundesministerium für Gesundheit übergeben. Mit dem Thema der bedarfsgerechten Steuerung für eine zukünftige Gesundheitsversorgung greift der Sachverständigenrat (SVR) in Teil III –"Bedarfsgerechte, koordinierte Versorgung" in ausgewählten Indikationsbereichen die Physiotherapie mit ihren vielseitigen Leistungen und entsprechende Empfehlungen auf.

Als wichtiger Akteur in der bedarfsgerechten Versorgung von Patienten mit Rückenschmerzen – diese zählen zu den häufigsten Zivilisationsleiden und rangieren unter den Diagnosen mit direktem Schmerzbezug auf Platz 1 - sind Physiotherapeuten derzeitige und potenzielle Leistungserbringer in der stationären wie auch wesentlich in der ambulanten Versorgung. Von den insgesamt 13 Millionen verordneten Leistungen entfielen 2017 laut Heilmittelbericht  21,1 Prozent auf Patienten mit der Diagnose M54 „Rückenschmerzen“. Diese Diagnose liegt damit mit großem Abstand auf Platz 1 der häufigsten Diagnosen bei physiotherapeutischen Verordnungen. Bezogen auf den Anteil der Patienten mit einer physiotherapeutischen Verordnung liegt der Anteil der Diagnose M54 sogar bei 31,5 Prozent.

Berufspolitische Forderungen werden in den Empfehlungen des   Sachverständigenrates thematisiert:

Sicherung einer leitliniengerechten Versorgung
Patienten mit Rückenschmerzen müssen evidenzbasiert und leitliniengerecht behandelt werden.
Letztlich muss durch die leitliniengerechte Versorgung eine Chronifizierung verhindert werden oder bei bereits erfolgter Chronifizierung das nichtoperative Behandlungsspektrum ausgeschöpft werden.
Der Deutsche Verband für Physiotherapie bringt sich seit mehr als zehn Jahren in die Leitlinienarbeit ein und hat an der Nationalen Versorgungsleitlinie, auf die im Gutachten des Sachverständigenrat auch für die Maßnahmen der Physiotherapie, Bewegungstherapie Bezug genommen wird, mitgewirkt.

Stärkung der evidenzbasierten Physiotherapie
Die empirische Fundierung zur Wirksamkeit von Physiotherapie muss verbessert werden. Dies stellt eine Herausforderung dar. Es gilt, die aus dem bunten Strauß möglicher physiotherapeutischer Maßnahmen diejenigen zu evaluieren, die nach standardisierten Kriterien den Nachweis der Wirksamkeit erbracht haben. Wenn jedoch die Physiotherapeuten beispielsweise im Rahmen von Blankoverordnungen oder sogar im Rahmen eines Direktzugangs mehr Verantwortung im Behandlungsprozess übernehmen sollen, muss die Behandlung stärker als bisher evidenzbasiert und leitliniengerecht gestaltet werden, so der Sachverständigenrat Hierzu gehört insbesondere auch eine Evidenzbasierung der Versorgung.

Modellvorhaben
Wie bereits durch das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) angestoßen, empfiehlt der Rat, verstärkt Modellvorhaben durchzuführen, in denen Physiotherapeuten selbst entscheiden, welche physiotherapeutischen Maßnahmen sie als zielführend erachten. Auch die Anzahl und die Frequenz der Physiotherapie sollten durch den behandelnden Physiotherapeuten auf Basis der Fortschritte des Patienten bestimmt werden. Voraussetzung hierfür soll aber eine evidenzbasierte Vorgehensweise sein. Eine entsprechende Erfolgskontrolle durch den Arzt und eine Erneuerung der Verordnung nach bestimmter Zeit wird vom Rat dabei als sinnvoll angesehen. Die Blankoverordnung und die damit einhergehende physiotherapeutische Behandlung müssen einem Nachweis der Wirksamkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit standhalten.

Direktzugang
Auch die Option des Direktzugangs ohne ärztliche Verordnung sollte in Modellvorhaben erprobt und in methodisch hochwertigen Studien systematisch evaluiert werden. Vor einer regelhaften Einführung blieben nicht nur Wirksamkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit zu belegen, sondern ebenfalls die rechtlichen Voraussetzungen sowie die regulatorischen Bedingungen auf der Selbstverwaltungsebene zu schaffen. Anders als die Berufsverbände, die den Direktzugang in einem künftigen Berufsgesetz schon in der Ausbildung verankert sehen möchten, vertritt der Sachverständigenrat die Ansicht, dass die umfangreichen und erweiterten Kompetenzen wie zum Beispiel Diagnostik und Erstellung von Therapieberichten ein Hochschulstudium mit Erwerb  klinisch-praktischer Expertise erfordern. Somit sollte der Direktzugang laut Sachverständigenrat entsprechend qualifizierten Physiotherapeuten vorbehalten sein.

Der Sachverständigenrat geht kritisch auf den Direktzugang, der schon heute über den eingeschränkten Heilpraktiker außerhalb des Leistungskatalogs der GKV möglich ist, ein. Über diesen Weg des sektoralen Heilpraktikers steht der Direktzugang damit auch nicht-akademisierten Physiotherapeuten offen. Die Begründung liefert das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 26. August 2009. In dieser Entscheidung (BVerwG 3 C 19.08) bestätigt es, dass Physiotherapeuten Patienten im Direktzugang behandeln können, sobald eine kleine Ausbildungslücke geschlossen ist. Es geht dabei um insgesamt 60 Unterrichtsstunden in den Bereichen bestimmter gesetzlicher Rechtsgrundlagen und der Fähigkeit, Beschwerden der Patienten mithilfe von Screeningverfahren sicher beurteilen zu können und damit eine Gefährdung für Patienten auszuschließen.

Attraktivitätssteigerung des Berufs: Schulgeld abschaffen und Ausbildungsvergütung einführen
Die genannten Maßnahmen sollen auch zu einer Attraktivitätssteigerung der Berufsgruppe der Physiotherapeuten führen, da diese eine zunehmend bedeutsame Berufsgruppe im Gesundheitswesen darstellt. Für die nicht-akademisch auszubildenden Physiotherapeuten sollte daher das Schulgeld im Rahmen der Physiotherapieausbildung abgeschafft werden und stattdessen eine Vergütung in Analogie zur Pflegeausbildung eingeführt werden.

Patienteninformation-und -aufklärung
Ein Ansatzpunkt, der bei Aufklärung der Patienten helfen kann, sind evidenzbasierte Entscheidungshilfen und Informationen wie beispielsweise Patienteninformationen zu Nationalen Versorgungsleitlinien. In Kombination mit Aufklärungsmaterial lässt sich die Patientenautonomie stärken und die Nachfrage nach medikamentösen oder invasiven Therapien reduzieren - bei wahrscheinlich und nach Einschätzung des SVR gleichzeitig ansteigender Nachfrage nach physiotherapeutischen Leistungen.

PHYSIO-DEUTSCHLAND bietet Service

Der Deutsche Verband für Physiotherapie bietet Physiotherapeuten umfangreiche Informationen und Materialen – zur  Leitlinienarbeit und mithilfe von Patienteninformationen, die über die Materialbestellung  online verfügbar sind.


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