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29.11.2022

Die papierlose Praxis

Nie mehr Papierflieger?

Susan Avci Physiotherapeutin, sektorale Heilpraktikerin, Personal Trainerin und Gesundheitsberaterin und Inhaberin von sanus bodywork in Bochum, arbeitet heute schon mit deutlich weniger Papier. Ab 2023 sollen auch die Karteikarten ersetzt werden. Außerdem ist sie die erste Physiotherapeutin in Nordrhein- Westfalen, die ihre Praxis mit der Telematikinfrastruktur, kurz TI, ausgerüstet hat.

Nach ihrer erfolgreichen Zeit im Leistungssport, machte sie zahlreiche physiotherapeutische, Fitness- und Personal Trainer-Fortbildungen und betreute große Firmen im Bereich Prävention. Darüber hinaus hat sie seit einigen Jahren regelmäßig Lehraufträge an der HSG Bochum (Hochschule für Gesundheit). Ganzheitlichkeit und Effektivität zählen für sie ebenso wie Spaß an Bewegung, Kraft und Entspannung! Entspannt ging sie auch den Schritt, ihre Praxis umzustellen.

Telematikinfrastruktur – ein Wortungetüm und was dahintersteckt

Sie wollen ein Auto kaufen, am besten ein rotes, aber noch bevor Sie gefragt werden, was Sie genau brauchen und welches Auto Sie suchen, werden Sie mit Begriffen wie ABS, Differentialsperre, ESP und eVB-Nummer bombardiert. Sie wollen aber eigentlich nur ein rotes Auto, das wenig Sprit verbraucht. Ähnlich erging es Susan Avci. Sie wollte sich ihren Arbeitsalltag erleichtern und ökonomischer arbeiten und war die erste in NRW, die das Abenteuer Telematikinfrastruktur in ihrer Praxis gestartet hat. Begriffe wie DiGA, HBA, eMP, KIM und eVo haben sie nicht abgeschreckt und sind für sie jetzt vollkommen geläufig. „Es sind nur Worte und vieles ist viel einfacher, als es im ersten Moment wirkt. Ich hatte einfach Lust, mich auf das Neue einzulassen“, meint Susan Avci.


Aus der Grauzone in den grünen Bereich

Sag es mit Farben. Für Susan Avci war eine der Hauptgründe, sich mit TI zu beschäftigen, datenschutzkonform arbeiten zu können und nicht immer die Angst haben zu müssen, es könne irgendwo ein Fehler passieren. „Mit ist alles recht, wenn wir mit größerer Datenschutzsicherheit arbeiten können. Das ist eine große Erleichterung für mich,“ sagt Susan Avci. Aber wenn es mal läuft, und es ist geplant, dass die TI ab 2026 in allen Physiotherapiepraxen laufen soll, dann erwartet sie allerdings wesentlich mehr:
Es bleibt mehr Zeit für die Betreuung und Versorgung der Patienten.

Vorteile der TI

Der Vorteil der TI ist, dass das Einlesen der Patientendaten über den Terminal funktioniert. Der Patient kann durch die App den erlaubten Zugriff gewähren und die Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten können unter anderem Arztberichte direkt ansehen und haben sofortigen Datenzugriff.
Es gibt keine unvollständigen Bögen und keine Übertragungsfehler.
Die Informationen werden zeitgleich und automatisiert in die Datenbank ihres Computers übertragen und der Krankenakte des Patienten zugeordnet. 
Ab nächstem Jahr ist geplant, dass der Patient direkt auf dem Tablet unterschreiben kann, damit ist die Rechtssicherheit gewährleistet. Die gespeicherten Daten können leichter für weitere Dokumente, wie zum Beispiel für die automatisierte Arztbrieferstellung, genutzt werden. 

Die App kann die Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten beispielsweise bei der Anamnese unterstützen und wichtige Informationen geben. Aber auch weitere Unterlagen, wie Aufklärungsbögen, Datenschutzvereinbarung, Behandlungsverträge, Honorarvereinbarungen oder Patientenbefragungen lassen sich mithilfe einer derartigen Anwendung digitalisieren.

So versprechen es zumindest die Firmen, die die Telematik in die Physiotherapiepraxis bringen sollen. 

Zukunftsmusik

Der Start lief nicht ganz so glatt, obwohl Susan Avci vom Berater der Softwarefirma CompuGroup, Timo Weber, gute Unterstützung bekam. Für ihn war der Prozess ebenso spannend wie für Susan Avci. Als „Pionierin“ war sie es, die Fehler bei einzelnen Schritten entdeckte und damit half, sie zu beheben. Auch die Bezirksregierung Münster war dankbar, dass sie Probleme auf Kundenseite aufgezeigt bekamen und somit lösen konnten. „Jetzt habe ich zwar die Technik, muss aber erst mal aktiv werden, denn die Ärzte haben es noch nicht auf dem Schirm, dass wir in den Physiotherapiepraxen auch an die TI angeschlossen sind. Also telefoniere ich die Ärzte ab, mit denen ich schon lange zusammenarbeite und informiere sie darüber. Es liegt in meiner Verantwortung, den weiteren Prozess in Gang zu kriegen und zu vermitteln. Ich bin dabei“. 

Zeitplan

Die Digitalisierung kann und wird einen wichtigen Beitrag zur Entbürokratisierung der Gesundheitsversorgung und zur Sicherung einer flächendeckenden Patientenversorgung leisten. „Die Digitalisierung kann die Dokumentation, Kommunikation und auch die Abrechnung zukunftsweisend vereinfachen. Voraussetzung dafür ist, dass die technische Umsetzung praxisnah erfolgt. Dafür setzen wir uns als Verband ein“, betont Uwe Eisner, stellvertretender Vorsitzender von PHYSIO-DEUTSCHLAND.  Der Probebetrieb startet im Jahr 2024. Aktuell gehen die GEMATIK (Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH) und das BMG (Bundesministerium für Gesundheit) davon aus, dass der Regelbetrieb mit der eVO (elektronische Verordnung) ab 2026 erfolgen wird. Spätestens bis dahin müssen Physiotherapiepraxen an die Telematikinfrastruktur verbindlich angeschlossen sein. 


Teil des Prozesses zu sein ist spannend

Der Spaß und die Neugierde bei einem ganz neuen Projekt als Erste dabei zu sein, verlor Susan Avci auch nicht, als es mal nicht so funktionierte wie es sollte. Für sie überwiegen die Vorteile. „Ich hatte keine Zeitnot und habe darüber ein sehr nettes Netzwerk bekommen, das sehr hilfreich war,“ so Susan Avci. Spannend ist es für sie auch jetzt noch aus einem anderen Grund. Die Anschluss- und Betriebskosten werden durch den GKV-Spitzenverband refinanziert. Daher gibt es jede Menge Vorteile und Verbesserungen ohne finanziellen Mehraufwand. So soll sichergestellt werden, dass auch wirklich alle Beteiligten an die TI angeschlossen werden können. Den Antrag hat Susan Avci bereits gestellt, aber wie viel sie tatsächlich rückerstattet bekommt, das wird sich zeigen. Wenn sie tatsächlich die versprochenen 100 % erstattet bekommt, wird sie vielleicht doch vor Freude einen letzten Papierflieger steigen lassen.


Weitere Informationen gibt es hier
https://www.gematik.de/