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04.07.2016

Im Gespräch mit einer Tierphysiotherapeutin und einer Tierärztin:

Ist das gemeinsame Arbeiten unter einem Dach der Spatz in der Hand oder die Taube auf dem Dach?

Im Interview:

  • Kirsten Stedefeder (KS) ist Physiotherapeutin und vom Deutschen Verband für Physiotherapie (ZVK) e.V. zertifizierte Tierphysiotherapeutin – Fachrichtung Hund, aus Oelde

  • Dr. med. vet. Maria Halbuer-Kobrink (MHK)  ist Fachtierärztin für Kleintiere, niedergelassen in Oelde

Sie arbeiten beide unter einem Dach zusammen. Wie entstand die Idee?

MHK: Ich plante, meine Praxis räumlich zu erweitern. Da lag es nahe, auch über eine inhaltliche Erweiterung, mit der ich mich im Kleintiersektor hervorheben kann, nachzudenken.

Wie kamen Sie gerade auf Kirsten Stedefeder?

MHK: Ich kenne und schätze sie aus dem humanphysiotherapeutischen Bereich sehr. Als ich mich dann auch noch informierte, wo sie welches Zertifikat als Tierphysiotherapeutin absolviert hatte, lag die Entscheidung nahe.

Hätten Sie nicht auch eine Tierarzthelferin ausbilden lassen können?

MHK: Das erachte ich persönlich als nicht sinnvoll. Woher sollen die fundierten Kenntnisse und vor allem Fertigkeiten denn kommen? Beide Ausbildungen haben ihre Berechtigungen und ihre eigenständigen Fertigkeiten. Ich suchte eher nach einer sinnvollen Ergänzung.

Welche Ergänzungen waren dies?

MHK: Nun, zunächst meinen Kunden und Patienten eine folgerichtige Erweiterung meines Leistungskatalogs anzubieten.

Zum Beispiel?

MHK: Für eine Praxis mit Operationsbetrieb im Bereich des muskuloskelettalen Systems ist eine physiotherapeutische Begleit- bzw. Nachbehandlung ein Gewinn. Das meine ich nicht finanziell. Die Patientenbesitzer danken uns das erweiterte Leistungsspektrum.

Und weiter?

MHK: Ich schätze kurze Wege: in der Einholung einer weiteren Meinung bei diagnostisch nicht eindeutigen Fällen, bei der Absprache zu Therapieplänen und zu Erfolg und Rückschlägen beim Patienten. Unter einem Dach ist dies ganz selbstverständlich.

Frau Stedefeder, welche Vorteile sehen Sie für sich?

KS: Oh, die sind vielfältig! Als Human- und Tierphysiotherapeutin genieße ich die Anerkennung meiner Qualifikationen und die Kollegialität in der Zusammenarbeit mit der Tierärztin sehr. Mein Wissen und meine Erfahrungen im Bereich des muskuloskelettalen System werden geschätzt und wiederum fachlich ergänzt durch jene der Tierärztin. Dieser alltägliche und selbstverständliche fachliche Austausch verschafft Sicherheit und macht uns beiden einfach Freude. Auch die Bewerbung des physiotherapeutischen Leistungsangebotes erfolgt über die Webseite der Tierarztpraxis. Wer also zu ihr als Tierärztin Vertrauen hat, vertraut auch schneller mir als Tierphysiotherapeutin. Und umgekehrt; es kommen ja auch Kunden von "extern" her.

Ich jedenfalls muss keine eigenen Praxisräume vorhalten, ich nutze jene der Tierarztpraxis. Dort stehen mir auch alle physiotherapeutischen Hilfsmittel sowie Röntgen zur Verfügung. Somit entfällt für mich die Anschaffung eines größeren Autos für ambulante Besuche.

Praktisch ist für mich auch, dass die Termine durch die Tierarzthelferin in den vorgegebenen Zeiträumen gemacht werden. Das entspannt meinen Alltag.

Fachlich gesehen kann ich sagen, dass der Einsatz in der Tierarztpraxis vielfältiger ist als bei einer rein ambulanten Praxis. Durch die mögliche Feinabstimmung an einem Ort können auch postoperative physiotherapeutische Maßnahmen gezielter angeboten und schneller umgesetzt werden. Die Akzeptanz seitens der Tierbesitzer ist hier wesentlich größer. Alle Seiten profitieren.

Selbst die Abrechnung erfolgt über die Praxis. Ich erhalte über eine monatliche Abrechnung mein Honorar. Höhere Verdienstmöglichkeiten durch diese Konstruktion sehe ich nicht, jedoch überzeugt mich die Nutzung der verschiedenen ergänzenden Effekte "unter einem Dach".

Ist diese Konstruktion für Sie nun der "Spatz in der Hand" oder die "Taube auf dem Dach"?

KS: Ganz klar. Die Taube. Ich hatte zuvor immer überlegt, wie ich meine berufliche Qualifikation und meine interessante Arbeit, in der ich mich gern engagiere, mit meinem Interesse am Tier verbinden kann. Und zwar ohne selber, außer der Weiterbildung, ein hohes Risiko einzugehen. Ich hätte auch weiter in meiner eigenen Physiotherapie-Praxis nach weiteren Profilen schauen können. Aber da ist man oft abhängig von den Kassen und arbeitet unter Zeit- und Finanzdruck. Das hat sich jetzt „geglättet“. Meine berufliche Tätigkeit macht mir Spaß und ich weiß auch wieder, warum ich genau diesen Beruf ausüben wollte.

Hätten Sie ein Beispiel für uns?

KS: Ja, stellen Sie sich vor: Ein Hundebesitzer wird mit seinem Deutschen Schäferhund vorstellig. Sein Hund hätte einen verspannten, steifen Rücken und liefe sichtbar „unrund“.
Eine erste Untersuchung meinerseits zeigt deutliche Symptome einer Spondylose. Zu den Auffälligkeiten im Gangbild gesellen sich ebenso das Absacken in der Hinterhand als Hinweis auf die beginnende Parese sowie Reflexausfälle, wie dem Patellareflex.

Mit der Empfehlung zu einer Dauermedikation mit Schmerzmitteln könnte man den Patienten jetzt in einen für ihn dann erträglicheren Alltag entlassen. Aber: ich wähle den zweiten Schritt. Ich bitte die Tierärztin hinzu. Im gemeinsamen Gespräch am Tier entschließen wir uns, zusätzlich zu röntgen. Das Bild bestätigt die Diagnose und verschafft Klarheit über den Status der Krankheit: fortgeschrittene Spondylose mit Spinalkanalverengung. Auf Grundlage dessen gehen wir beide auch den nächsten Schritt gemeinsam: Wir erarbeiten innerhalb kürzester Zeit den Therapieplan. Die angesetzte Schmerzmedikation ist nur ein Teil des Schmerzmanagements. Dieses wird ergänzt durch physiotherapeutische Maßnahmen, das heißt zunächst: Heiße Rolle, "sanfte" Massage, Faszientechniken. Später dann kommen dazu: Reflextraining, Durchbewegen vermittels PNF, Stand- und Gehtraining, Propriozeptionstraining und Koordination. Alle Maßnahmen sind aufeinander abgestimmt. Der Kontakt in der Praxis ermöglicht die Kontrolle des Therapieverlaufs und seine unmittelbare Anpassung.

Der Besitzer ist begeistert. Selten fände man in der Humanmedizin solch ein Hand-in-Hand-Arbeiten zum Wohle des Patienten. Aber dies nun hier für seinen Hund! Und dem Deutschen Schäferhund geht es besser. Die Schmerzfreiheit vertreibt die Bewegungsunlust, die regelmäßigen physiotherapeutischen Maßnahmen erhöhen den Bewegungsspielraum. Ein korrigiertes und unterstützendes Stehen wird immer seltener notwendig. Die Spondylose ist da, aber die Krankheit ist weg. Alle sind zufrieden.

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Hilke Leu.


Interesse geweckt? Bei Fragen, melden Sie sich gerne bei uns. Ihre Ansprechpartnerin ist Hilke Leu – (04705) 95 18 26.

Weitere Informationen gibt es auch unter: www.tier-physio.org. Die nächste Weiterbildung startet voraussichtlich im September 2016.