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01.08.2007

Bei Patienten mit Multipler Sklerose fehlen bestimmte Immunzellen

Nachwuchsmangel bei Abwehrzellen fördert Selbstzerstörung des Nervensystems / Forscher des Universitätsklinikums Heidelberg veröffentlichen im \"Journal of Immunology\"

Heidelberger Wissenschaftler haben einen neuen Mechanismus bei Multipler Sklerose entdeckt, der die schleichende Selbstzerstörung des Nervensystems miterklärt, und ein möglicher Ansatzpunkt für neue Medikamente ist. Bei MS-Patienten ist die Thymusdrüse nicht in der Lage, wichtige Immunzellen, so genannte regulatorische T-Zellen, in ausreichender Zahl neu zu bilden. Die älteren Exemplare dieser regulatorischen T-Zellen können die Selbstzerstörung des Nervensystems bei MS-Patienten jedoch nicht aufhalten: Sie hemmen die Abwehrzellen, die körpereigene Strukturen angreifen, weniger stark als junge T-Zell-Exemplare.

Diese Ergebnisse haben Professor Brigitte Wildemann, Leiterin der Sektion Molekulare Neuroimmunologie an der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg, und ihr Team gemeinsam mit Wissenschaftlern des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg imrenommierten "Journal of Immunology" veröffentlicht.

Schritt für Schritt einer Erklärung näher: Wie entsteht Multiple Sklerose - und was kann man dagegen tun?

Die Untersuchung ist ein weiterer Puzzlestein in der Erforschung der Multiplen Sklerose in Heidelberg: Bereits im Jahr 2003 hat die Arbeitsgruppe von Professor Wildemann gezeigt, dass die Thymusdrüse, ein beim Menschen oberhalb des Herzens liegendes Organ des Lymphsystems, eine wichtige Rolle bei der Entstehung der MS spielt. Vor zwei Jahren beschrieben die Wissenschaftler in einer weiteren Veröffentlichung, dass speziell die Funktion der regulatorischen T-Zellen für Patienten mit MS wichtig ist. "Die aktuelle Arbeit führt nun die beiden Erkenntnisse zusammen", sagt Dr. Jürgen Haas, Laborleiter der Sektion Molekulare Neuroimmunologie und Erstautor der Arbeit.

Die neuen Forschungsergebnisse könnten auch eine Erklärung dafür liefern, warum bestimmte Medikamente bei MS wirken - und warum sich MS-Patientinnen während der Schwangerschaft oft besonders gut fühlen: Hormone und bestimmte Wirkstoffe in Medikamenten beeinflussen möglicherweise die Thymusfunktion und damit die Neubildung von Abwehrzellen.

Ebenso könnte sich ein neuer Behandlungsansatz aus den neuen Erkenntnissen ergeben: "Wenn es gelingt, junge, voll funktionsfähige regulatorische T-Zellen eines Patienten zu entnehmen, in einer Zellkultur zu vermehren und dann zu injizieren, könnte das die Erkrankung positiv beeinflussen", blickt Dr. Jürgen Haas in die Zukunft.

Thymusdrüse mit Funktionsstörung?

Eine Immunreaktion soll im Körper nur so lange ablaufen, bis der "Feind" bekämpft ist. Die regulatorischen T-Zellen beenden bei gesunden Patienten die Abwehrreaktion und tragen dazu bei, dass der eigene Körper nicht angegriffen wird. Ausgebildet werden diese zellulären Ordnungshüter in der Thymusdrüse.

Der Haken an der Sache: Die Thymusdrüse schrumpft mit zunehmendem Alter und erfüllt somit ihre Aufgabe, neue Abwehr-Zellen zu bilden, immer schlechter. "Wir vermuten, dass MS-Patienten eine Funktionsstörung der Thymusdrüse aufweisen", erklärt Dr. Jürgen Haas. "MS-Patienten haben vergleichsweise weniger junge regulatorische T-Zellen. Dieser Mangel wird durch Teilung der alten "Memory"-Zellen kompensiert. Es gibt sozusagen genug Ordnungshüter - aber deren Fähigkeiten sind offensichtlich eingeschränkt." Stattdessen sind die älteren Exemplare anfälliger für den plötzlichen Zelltod, die so genannte Apoptose. "Ist die Funktion der regulatorischen T-Zellen gestört, kommt es zu Überreaktionen des Immunsystems und gesundes Gewebe - im Fall der MS die Nervenleitbahnen - wird attackiert."

Literatur: Jürgen Haas, Benedikt Fritzsching, Petra Trübswetter, Mirjam Korporal, Linda Milkova, Brigitte Fritz, Diana Vobis, Peter H. Krammer, Elisabeth Suri-Payer, Brigitte Wildemann: Prevalence of Newly Generated Naïve Regulatory T-Cells is Critical for Treg Suppressive Function and Determines Treg Dysfunction in Multiple Sclerosis, Journal of Immunology, 2007; 175(2).

Der Originalartikel kann bei der Pressestelle des Universitätsklinikums Heidelberg unter contact@med.uni-heidelberg.de angefordert werden.