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29.10.2013

"Vorstand vor Ort":

Ute Mattfeld zu Besuch im Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen, bei Andreas Fründ, Abteilungsleiter Physiotherapie.

Das Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen (HDZ NRW), Bad Oeynhausen ist als Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum eine international führende Einrichtung zur Behandlung von Herz-, Kreislauf- und Diabeteserkrankungen. Mit 15.000 stationären und 22.000 ambulanten Behandlungsfällen gehört das HDZ NRW zu den größten Spezialkliniken seiner Art weltweit.

In der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie werden jährlich an die 4.000 Patienten am offenen Herzen operiert. Andreas Fründ, Abteilungsleiter Physiotherapie und Leiter der Arbeitsgemeinschaft Herz-Kreislauf unseres Verbandes, hat Ute Mattfeld zu einem Besuch eingeladen.

Lieber Andreas, wir kennen uns jetzt schon seit mehr als zehn Jahren. Du leitest unsere Arbeitsgemeinschaft Herz-Kreislauf im Verband. Vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich auf einen spannenden Tag in Deiner Abteilung. Könntest Du mir bitte zunächst Deine Abteilung und Eure Leitgedanken etwas genauer vorstellen?

Aber gerne! Das Herz- und Diabeteszentrum NRW feiert im kommenden Jahr sein 30-jähriges Bestehen. Es ist bekannt als eines der größten Herztransplantationszentren weltweit (über 2.000 Herztransplantationen). Mit Beginn des Transplantationsprogramms 1989 wurde ich Leiter der Abteilung Physiotherapie. Heute sichern 30 Mitarbeiter, verteilt auf 22 Vollstellen, die 365-Tage-Versorgung unserer Patienten.

Wichtig sind für mich absolute Teamfähigkeit und die Bereitschaft zum ständigen Weiterentwickeln. Seit 1989 sind wir als Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum der Forschung und Lehre verpflichtet. Zahlreiche Projekte zur Herzinsuffizienz, Kunstherzforschung und Weiterentwicklung wurden von uns initiiert und durchgeführt. Leider habe ich bislang erst einen akademisch ausgebildeten Mitarbeiter.

In dem von allen Mitarbeitern erarbeiteten Leitbild steht der Patient im Mittelpunkt. Aber auch unser Selbstverständnis als Physiotherapeuten und die Kommunikation mit den beteiligten Berufsgruppen der Ärzte, Pflegenden, Psychologen und Sozialarbeiter ist ein wichtiger Bestandteil des Leitbildes. Aufgenommen wurde auch, dass sich unsere Arbeit an aktuellen Leitlinien und Forschungsergebnissen orientieren soll.

Ihr arbeitet mit Patienten, die oft lebensbedrohlich betroffen sind und/oder sich gerade von einer schweren OP erholen. Habt Ihr spezielle Kenntnisse und Kompetenzen wie zum Beispiel Notfallerkennung und Erste Hilfe?

Unsere Einarbeitung erfolgt nach einem Einarbeitungsprotokoll mit Zwischengesprächen und Mitarbeiterjahresgesprächen, so dass wir unsere Mitarbeiter immer auf einem annähernd gleichen Wissensstand halten und weiterbefördern. Zu den Pflichtveranstaltungen zählen im jährlichen Turnus u.a. Herz-Lungen-Wiederbelebung und Hygieneveranstaltungen wie Händehygiene.

Diese Kompetenzen finden sich auch in unserem PhysioQM-Konzept. Im Team finden sich Bobath-, Brüggertherapeuten, Spezialisten für Manuelle Therapie, Übungsleiter für Herzsport, so dass eine hohe Kompetenz auch im Team vorhanden ist.

In einer intensiven Einarbeitungsphase von rund sechs Monaten werden unsere neuen Mitarbeiter von erfahrenen Mentoren geschult, vor allem im Hinblick auf die Befundung des Patienten. Wichtig: Wir behandeln Patienten und keine Krankheitsbilder. Einen wesentlichen Schwerpunkt bilden die Erfassung und Dokumentation der geplanten und durchgeführten Behandlungen in unserem EDV-System ORBIS.

Die Risiken aufgrund von Antibiotika-Resistenzen sind in den letzten Jahren gestiegen. Grundsätzlich werden daher alle unsere Patienten einer Screening-Untersuchung auf Keime wie MRSA unterzogen. Das ist sicher ein Vorteil gegenüber jeder niedergelassenen Praxis. Die Verantwortung im klinischen Bereich ist hier sehr hoch, das weiß jeder meiner Mitarbeiter. Zwei betroffene Mitarbeiter aus den eigenen Reihen haben zu diesem Bewusstsein beigetragen.

Stehst Du in regelmäßigem Austausch mit leitenden Physiotherapeuten aus anderen Kliniken/Einrichtungen?

Es gibt wiederkehrenden Austausch mit anderen leitenden Physiotherapeuten. Zum einen über Hospitationen, zum anderen auch über die Arbeitsgruppe Leitender Physiotherapeuten an Universitätskliniken. Ein Forum schafft der Nordverbund im Deutschen Verband für Physiotherapie, der regelmäßige Arbeitstreffen im norddeutschen Raum organisiert.

Andreas, Du hast für eure Abteilung ein eigenes elektronisches Dokumentationssystem entwickelt. Kannst Du es kurz vorstellen?

Ja, das stimmt. Es ist mir wichtig, den Nachweis der Wirksamkeit unserer Maßnahmen zu erbringen. Zusammen mit unserer EDV konnten wir ein Dokumentationssystem entwickeln, indem wir - bei relativ wenig Aufwand für die Therapeuten - ein umfassendes Bild der Behandlung darstellen können. Textbausteine und ein System aus Zielen mit den zugeordneten Maßnahmen erleichtern die Dokumentation. Standardisierte Assessments wie 6-Minuten-Gehtest, Tinetti-Test, MLD Befundungsbögen sind sehr einfach und schnell auszufüllen. Per Mausklick wird ein Abschlussbericht generiert, der es ermöglicht, direkt im Anschluss weiter zu behandeln. Dabei ist mir wichtig, dass die Maßnahmen auch immer aus physiotherapeutischer Sicht begründet sind. Das schafft Transparenz für einzelne physiotherapeutische Maßnahmen gegenüber Ärzten.

Die Physiotherapie weiterzuentwickeln und physiotherapeutische Forschung voranzubringen, ist Dir ein großes Anliegen. Wie lässt sich Dein Anspruch in die praktische Arbeit integrieren?

Ich stelle mir und meinem Team permanent die Frage, ob der eingeschlagene Weg weiter zu verfolgen und sinnvoll ist. Wir hinterfragen das auch mit der Hilfe interessierter Schüler aus zwei Physiotherapieschulen der näheren Umgebung. Neue Umstände in der Versorgungssituation, Abrechnungsfaktoren, neue Geräte, neue Erkenntnisse müssen in unsere Therapie zeitnah einfließen. Ich habe selber schon an S3-Leitlinien mitgearbeitet. Diese Arbeit fließt selbstverständlich in unsere Alltagsarbeit entsprechend unserem Leitbild mit ein. Führungsaufgabe ist dabei, die einzelnen Mitarbeiter der Abteilung immer mit im Boot zu haben. Da sind die regelmäßigen Mitarbeiterjahresgespräche eine gute Motivationshilfe.

An dieser Stelle ganz herzlichen Glückwunsch! Denn Ihr seid im Mai mit dem Kieler Herz-Preis ausgezeichnet worden. Seit Jahren präsentierst und referierst Du über Eure wissenschaftlichen Ergebnisse in Deutschland und auf internationalen Kongressen. Zwei Fragen hierzu:

  • Wie ermunterst Du Deine Kollegen, Kongresse zu besuchen und selbst aktiv ihre Arbeit der Fachöffentlichkeit vorzustellen?

  • Wie siehst Du die Entwicklung der Physiotherapie in Deutschland generell im internationalen Vergleich?

Ich sehe mich als Impulsgeber. Der Ball rollt schließlich nicht von alleine weiter. Allerdings habe ich mit der Bildung von Kleingruppen zu einem Thema gute Erfahrungen gemacht. Nicht jeder möchte sich so vor Publikum produzieren, die Arbeit im Hintergrund ist genauso wichtig. Da wir eine Institution des öffentlichen Rechts sind, gibt es keine Möglichkeiten innerhalb des Tarifvertrages, solches Engagement finanziell höher zu bewerten. Die aktive Teilnahme an Kongressen etwa mit Poster, Workshop oder Vortrag wird dafür finanziert. Das ist der Vorteil einer Universitätsklinik mit wohlwollenden Chefärzten. Wir haben die Möglichkeiten eines internationalen Hochleistungszentrums, inklusive Medien und Literatur, die wir für uns nutzen.
Im internationalen Vergleich müssen wir uns nicht verstecken. Allerdings bin ich derzeit der einzige deutsche Physiotherapeut, der im Rahmen der Europäischen Gesellschaft für kardiale Prävention und Rehabilitation auftritt. Ein bisschen wissenschaftliche Publikation ist dabei Voraussetzung. Als Leiter der Arbeitsgemeinschaft Herz-Kreislauf im Deutschen Verband für Physiotherapie sind wir Mitglied der internationalen Vereinigung der Cardiorespiratorisch arbeitenden Physiotherapeuten in der WCPT - International Confederation of Cardiorespiratory Physical Therapists (ICCrPT).
Diese Selbstverständlichkeit, gemeinsam mit Medizinern zu arbeiten, ist in Belgien, Holland und Schweden leichter als in Deutschland gegeben. Unsere Arbeitsgruppe im Haus, die seit etwa 15 Jahren existiert, gibt mir jedoch viele Möglichkeiten, an diesem Selbstverständnis in unserem Kontext zu arbeiten. Für mich ist klar: Physiotherapie muss den ersten Schritt machen. Wir können nicht warten, dass andere auf uns zukommen.

Lieber Andreas, die Professionalität in Deinem Haus hat mich beindruckt. Die Arbeit Eures Teams ist ein sehr gutes Beispiel wie und vor allem, dass Physiotherapeuten auch bei lebensbedrohlichen erkrankten Patienten quasi im Erstkontakt arbeiten können. Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Ute Mattfeld, Vorsitzende des Deutschen Verbandes für Physiotherapie (ZVK) e.V.

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